Toedliche Offenbarung
könnten Streuwald und er beim Dorfkrug vorbeischauen – und wegen des Motorrades würde er von unterwegs der Verkehrspolizei Bescheid sagen. Das würde Struktur in die Ermittlungen bringen.
Entspannt räkelt sich Borgfeld auf dem Hocker an der Theke. Heute Abend würde er Maria fragen. Borgfeld fühlt sich so gut, wie schon lange nicht mehr. Wenn er die Beförderung in der Tasche hat, würde es auch für Paris reichen. Einfach so. Bestimmt fällt sie ihm um den Hals und klatscht mit den Händen, wenn er sie danach fragt.
Gedankenversunken wirft er einen Blick aufs Spielfeld. Streuwalds Stürmer läuft sich gerade frei und sprintet auf das Tor zu. Der gegnerische Torwart rennt ihm entgegen, Spieler Nummer 2 schlägt einen Haken und schießt aufs Tor – sogar Borgfeld hält den Atem an und stöhnt danach enttäuscht auf. Der Schuss geht zehn Zentimeter am Pfosten vorbei. Der Schiedsrichter pfeift: Halbzeitpause.
Streuwald läuft zu seinen Jungs, schnauzt einen kräftigen Dunkelhaarigen an, klopft einem anderen auf die Schulter, während er zusammen mit ihnen vom Platz trottet und in der Umkleidekabine verschwindet.
Mit Wehmut im Herzen beobachtet Borgfeld die Mannschaft. Früher war er selbst auch oft auf dem Fußballplatz, hat kein Spiel von Alexander verpasst. Von der Pampersliga bis zur E-Jugend. Am Anfang wussten die Kleinen manchmal nicht, in welche Richtung sie laufen sollten, Hauptsache, dem Ball hinterher. Borgfeld schmunzelt und zieht dabei die Luft tief durch die Nase. Seine Nasenflügel beben. Der Bratenduft frischer Frikadellen zieht aus der Küche zu ihm herüber. Fritz Huber, der die Siebzig längst überschritten hat, bringt seit seiner Frühverrentung vor mehr als zwanzig Jahren die Vereinskneipe in Ramlingen auf Vordermann, wie er immer sagt. Fritze, wie er von allen genannt wird, stellt Borgfeld mit Schwung zwei Frikadellen und zwei mit Zwiebeln belegte Mettbrötchen auf den Tresen.
»Warst aber lange nicht mehr da, hab dich kaum wieder erkannt«, knurrt er Borgfeld an. Dass »so fett biste geworden«, verkneift er sich. Sein Vereinsvorsitzender hat ihn sich wegen ähnlicher Sprüche schon ein paar Mal zur Brust genommen.
»Danke, Fritze. Hatte ganz vergessen, wie charmant du bist«, grummelt Borgfeld und liebkost die erste Frikadelle mit den Augen. Genau in diesem Moment vibriert sein Handy. Verdammt! Das Telefon kann warten.
Borgfeld tunkt die Frikadelle in den Senf und beißt ab. Alle Geschmacksnerven seiner Zunge jubeln, Borgfeld lehnt sich zufrieden mit einem Lächeln auf den Lippen zurück und will nur noch eins: Bissen für Bissen genießen, ohne diese verdammten Punkte zu zählen. Erneut vibriert das Handy. Scheint wichtig zu sein.
»Ja«, quält er sich mit vollem Mund heraus.
»Polizeiinspektion Burgdorf, Schäfer. Ich habe eine dringende Nachricht von Ihrer Tochter. Sie ist auf dem Weg hierher. Sie sollen sie unbedingt anrufen. Am besten kommen Sie sofort.«
40
Während Martha sich frisch macht und das verschwitzte Polohemd und die Shorts gegen ein leichtes Sommerkleid austauscht, setzt sich Beckmann auf das Küchensofa und blättert gelangweilt in den Fotokopien, die auf dem Tisch liegen. 1952. Scheint ein Tagebuch zu sein. Er überfliegt die ersten zwei Seiten.
»Bist du unter die Historiker gegangen?«, ruft er in Marthas Richtung.
»Nein«, antwortet sie durch die geöffnete Badezimmertür. »Das hat mir jemand zur Ansicht vorbeigebracht. Ein gewisser Julius Trott. Den Text hat er bei seiner verstorbenen Großmutter gefunden. Du kannst ruhig drin lesen. Soll angeblich etwas Brisantes enthalten. Bislang habe ich aber nur Berichte über einen Bombenangriff in Celle gelesen – mit den üblichen Schrecken des Krieges.«
Beckmann überfliegt ein paar Zeilen, hält inne und liest die Seite noch einmal von Anfang an.
Wilhelm Trott, Jahrgang 1931, 22 Jahre alt, Buchhalter, Riemannstraße
Meine Mutter hat mir schon erzählt, dass Sie alles Mögliche über die letzten Kriegstage wissen wollen. Aber wieso von mir?
Was soll ich Ihnen schon sagen, ich war damals vierzehn Jahre alt. Es waren Osterferien. Am 7. April war ich in der Hehlentorschule, im Bannausbildungslager. Das war ein Samstag. Meine Mutter wollte das eigentlich nicht, aber ich konnte mich doch nicht davor drücken. Alle aus meiner Klasse waren da, bis auf Emil und Otto. Aber die zählten nicht, über die fielen sowieso immer alle her. Muttersöhnchen, rief man ihnen nach, der Herbert Müller
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