Toedliche Offenbarung
fast augenblicklich. Diese mickerigen Wasserlachen bieten den Mückenlarven und Bremsen immer noch so viel Feuchtigkeit, dass sie sich selbst bei dieser Witterung prächtig entwickeln können. Sonja schlägt erneut zu. Wieder zu spät.
Sie marschiert weiter und holt hektisch nach den Mücken aus, die sie umschwirren, wie Motten das Licht.
»Verdammt!«, flucht sie. »Ich will hier weg.«
Auf einem verrosteten Blechschild am Zaun lacht ein dicker Mann und prostet ihr mit einem Bierglas zu. Montags Ruhetag. Das Schild stammt noch aus der Zeit, als auf dem Grundstück ein beliebtes Ausflugslokal sein Domizil hatte.
Sonja betrachtet die Werbetafel. Genau in der Mitte der Stirn ist ein kleines Loch. Kopfschuss. Daneben hängt ein Schild: National befreite Zone . Sonja fröstelt – und bewundert Felix. Sie hätte sich nie alleine so dicht ans Haus getraut. Schon hier am Rand des Waldes hat sie Angst. Diese Typen sind doch unberechenbar.
Sonja sieht sich nach allen Seiten um. Niemand zu sehen. Soll sie zum Haus gehen? Nein, das traut sie sich nicht. Wenn einer sie hier erwischt … sie mag gar nicht daran denken. Am liebsten würde sie wieder nach Hause fahren.
Scheiße. Das kann sie nicht machen.
Plötzlich wird Sonja klar, in was für einer verzwickten Situation sie sich befindet. Sie kann Felix nicht seinem Schicksal überlassen. Klar, keiner hat ihm gesagt, dass er hierher fahren soll, um Fotos zu machen. Auch sie nicht. Aber in der Küche vorhin, als er neben ihr stand, hat sie genau gespürt, dass er es nicht nur wegen der Aktion macht.
Sie hätte ihn abhalten können. Dieser Gedanke gefällt ihr nicht, er gefällt ihr überhaupt nicht. Denn plötzlich weiß sie, was das bedeutet: Wenn Felix etwas passiert ist, hat sie Schuld. Zumindest vor sich selber.
Sonja macht einige Schritte nach rechts Richtung Fichtenschonung. Im Schutz der dichten grünen Bäume kann man sie nicht entdecken. Trotzdem beschleicht sie ein mulmiges Gefühl. Sie hat Angst. Ihre Hände zittern.
Plötzlich hört sie aus der Ferne einen Schuss. Dann noch einen. Im ersten Moment erstarrt sie, dann rennt sie zum Auto zurück, öffnet die Tür, ohne darauf zu achten, ob man sie hört oder nicht und startet den Motor.
38
»Was weißt du über Broderich?« Martha hat eine Flasche Grauburgunder aus dem Kühlschrank geholt und geöffnet. Es gibt Tage, die verdienen auch um die Mittagsstunde Anderes als Tee.
Beckmann nimmt überrascht das gefüllte Weißweinglas entgegen und nippt daran. Gut temperiert – im Unterschied zum Tee. Er lächelt Martha zu, die sieht jedoch sofort zur Seite. Martha, er kann die Augen einfach nicht von ihr lassen. Diese Frau gefällt ihm viel zu gut. Ihre vollen braunen Haare, ihre Brüste. Schluss, du kannst eine Frau nicht nur auf ihre Äußerlichkeiten reduzieren. Frauen sind …
»Jetzt schieß los«, unterbricht Martha seine Gedanken.
Frauen sind ungeduldig. Frauen sind ungerecht. Frauen … ich liebe diese Frau. Plötzlich ist Beckmann klar, dass er noch nie eine Frau so sehr geliebt hat wie diese.
»Hast du die Sprache verloren?«
Wie redet sie mit mir? Verdammt, ich muss aufpassen, sonst hole ich mir eine blutige Nase. Beckmann sucht Marthas Augen, für einen kurzen Moment erwidert sie seinen Blick, dann wendet sie sich wieder ab.
»Ich habe da so ein seltsames Gefühl, was den Toten betrifft«, beginnt Beckmann. »Broderich ist mir heute Morgen auf der Internetseite Wir für Niedersachsen begegnet. Unter dem Kürzel HB hat er die Seite für die »Aufrechten Deutschen« gestaltet, und zwar äußerst geschickt. Beim ersten Eindruck konnte man gar nicht erkennen, dass es sich um eine rechte Anwerbekampagne handelt. Da bin ich neugierig auf ihn geworden.«
39
Der Schiedsrichter pfeift das Tor. Borgfeld schaut aus dem Fenster. 0: 2. Streuwald springt von der Trainerbank auf, ballt die Fäuste und schreit einzelnen Spielern Anweisungen zu. Blut schießt ihm in den Kopf und seine Hautfarbe macht den rotblonden Haaren Konkurrenz.
Drinnen in der Vereinsgaststätte nimmt kaum jemand Notiz vom Spiel. Die einen spielen Skat, die anderen unterhalten sich. Im Hintergrund läuft Musik. Udo Jürgens. Griechischer Wein . Ein älterer Mann summt zur Melodie mit. Kaum ist das Lied zu Ende, ruft er: »Fritz, mach nochmal von vorn.«
Wenige Augenblicke später legt Udo Jürgens wieder los.
Ich war noch niemals in New York , singt der Mann an der anderen Seite der Theke laut mit.
Der Tote aus dem
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