Toedliche Offenbarung
Golfclub geht Borgfeld nicht aus dem Sinn. Mit seinen Cowboystiefeln und den schmierigen Haaren sah er nicht so aus, als ob er zum Club gehörte. Was verdammt nochmal, hat er dann da gemacht? Vor allem mit diesem Ball im Mund?
Borgfeld nippt an dem stillen Mineralwasser, das vor ihm in einem Glas steht. Dieser Golfball hat etwas zu bedeuten, das wird ihm mit jedem Schluck klarer. Aber was? Plötzlich hat Borgfeld wieder das Gesicht dieser Verkäuferin vor Augen. Ina heißt sie. Dieses Lächeln, dieser zarte Schimmer ihrer Haut. So sehen die Frauen in den Fernsehfilmen aus, die Maria sich immer ansieht. Meistens spielen sie in England, irgendwo in Cornwall und ein verarmter Graf verliebt sich in eine bildschöne Frau, die dann für ihn alles …
Ich war noch niemals in New York , dringt laut zu ihm herüber. Stimmt, er auch nicht. Ich war noch niemals auf Hawaii , summt er im nächsten Moment, ohne nachzudenken, mit. Auch in San Francisco war er noch nie. Mit seinen sechsundvierzig Jahren hat er noch nicht einmal einer Frau die Hand geküsst. Wie sich das wohl anfühlt? Plötzlich muss er über sich selbst schmunzeln. Handkuss. Die Freundinnen von Maria würden das mehr als komisch finden. Maria erst recht.
Draußen auf den Rängen bricht Jubel aus. 1: 2. Streuwald springt mit geballten Fäusten von der Trainerbank und hüpft auf und nieder. Ihm ist die Erleichterung anzusehen.
»Jetzt zeigt es ihnen!« Streuwalds Schrei kann Borgfeld durch die geschlossene Fensterscheibe hören.
Borgfeld trinkt das Glas aus und fischt sein Notizbuch aus der Innentasche seines Jacketts. Er notiert mit dem kleinen spitzen Bleistift auf der rechten Innenseite: Handkuss ausprobieren.
Dann schlägt er die Seite um. Mit Druckbuchstaben schreibt er: Mord am Golfplatz. Dann zieht er eine gerade Linie.
Opfer: Henry Broderich.
Tatort: Golfclub
Es gibt zwar diese Schleifspuren, die die Spurensicherung gefunden hat, aber die besagen noch nichts. Borgfeld setzt trotzdem ein Fragezeichen hinter das Wort Golfclub. Sicher ist Sicher. Dann zieht er eine neue Linie.
Todesursache:
Diese Rubrik lässt er erst einmal frei.
Motiv:
Borgfeld kratzt sich hinter dem Ohr. Was für ein Motiv könnte dahinterstecken? Mord aus Leidenschaft? Aus Habgier?
Viel wissen sie noch nicht von dem Toten. Also ergänzt Borgfeld die Liste um die nächste Rubrik.
Tatverdächtige:
Der Einzige, der ihm einfällt, ist Goldmann. Der Mann hat zu viel gezittert und zu viele rote Flecken im Gesicht gehabt. Nach kurzem Zögern setzt Borgfeld drei Fragezeichen hinter den Namen, bevor er die nächste Linie zieht.
Weiteres Vorgehen:
Hier fällt Borgfeld mehr ein: Broderichs Umfeld erkunden, Freunde, Verwandte befragen. Der Mann war Journalist. Wo hat er gearbeitet? Kollegen befragen.
Borgfeld überlegt einen Moment, dann schreibt er dazu: Telefon, Computer checken. Er hält inne. Fotoapparat. Meistens haben Journalisten doch so was.
Das Feuer war vorüber und unsere Liebe kalt, oho, c’est la vie. Borgfeld zuckt zusammen. Das Feuer ist vorüber. Stimmt. Jedenfalls ein bisschen. Gut, mehr als ein bisschen. Nur Alltag und Gewohnheit gab ihr noch etwas Halt, oho, c’est la vie.
Maria ist heute bis 16:00 Uhr bei Edeka. So wie fast jeden Samstag. Abends gibt es dann wie immer Fernsehen. Alle paar Wochen Wetten, dass?, meistens aber einen Liebesfilm. Er schläft regelmäßig dabei ein. So ist das eben, wenn man sich seit 25 Jahren kennt. Aber schlecht hat er es nicht getroffen. Maria ist immer für ihn da. Sie liebt ihn, sonst würde sie ihn nicht so mit diesen Punkten traktieren. Ein leises Seufzen entweicht seinen Lippen. Das mit der Liebe und dem Feuer wird völlig überbewertet. Der Wert von Gewohnheiten ist dagegen nicht zu unterschätzen. Vor allem nicht von liebevollen Gewohnheiten.
Borgfeld streicht mit einer Geste, die man fast zärtlich nennen könnte, über das Notizbuch und seufzt. Es ist ein überaus genüssliches Seufzen. Listen strukturieren das Leben, strukturieren erst recht einen Fall, bringen Ordnung in ein vermeintliches Chaos. Egal, ob es um den Einbruch in eine Gartenlaube oder um den Diebstahl eines Fahrrades geht – denn das sind die Fälle, mit denen er meistens zu tun hat.
Willst du gern einmal nach Paris, einfach so nur zum Spaß? Borgfeld lächelt und muss an Maria denken. Vielleicht sollte er sie mal überraschen. Einfach so. Er liest noch einmal alle Eintragungen auf der Liste und lächelt zufrieden. Auf dem Rückweg vom Fußballspiel
Weitere Kostenlose Bücher