Toedliche Offenbarung
von Matusch oder Wörstein herumkommandieren lässt. Nie hat er etwas hinterfragt. Er drückt mit den Fingerspitzen seine Nase in Form. »Na, geht doch.«
»Was meinste?«
Erschrocken dreht sich Kevin um. Matusch steht im Türrahmen und mustert seinen Kumpel von oben bis unten, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Kevin weiß nicht, wie lange er dort schon so steht. Er wird blass bei dem Gedanken, dass Matusch da schon länger steht. Kevin atmet tief ein und sagt mit betont entschlossener Stimme: »Ich hab Hunger.«
6
Beckmann hat wieder zu seiner guten Laune zurückgefunden und betritt schwungvoll das Zimmer von Streuwald und Borgfeld. Die Fenster sind weit geöffnet, um die frische Morgenluft hineinzulassen. Der Himmel ist von einem strahlenden Blau, es soll heute noch heißer als gestern werden. Der Jahrhundertsommer geht in die Vollen, und die ersten Bauern fangen an zu klagen.
»Guten Morgen, die Herren.« Beckmann legt eine Tüte mit Brötchen und Croissants auf den Tisch. »Frisch von der Lister Meile. Angeblich lässt sich Robert de Niro das Brot von diesem Bäcker schicken.«
Borgfeld nickt ihm müde zu. Er hat tiefe Ringe unter den Augen.
Die Frage, ob der Junge wieder aufgetaucht ist, spart Beckmann sich. Ein Blick auf Borgfeld genügt, um zu wissen, dass er harte Stunden im Kreis seiner Familie hinter sich hat.
In der Tat: Der gestrige Abend ist die Hölle gewesen. Borgfelds Familie hat zusammen im Wohnzimmer gehockt und aufs Telefon gestarrt, von dem sich jeder die erlösende Nachricht erhoffte. Doch die blieb aus. Immer wieder ist Sonja mit Maria alle Details von Felix’ Verschwinden durchgegangen. Der Fotoausflug zum ehemaligen Landschulheim, das verschwundene Fahrrad, die Schüsse im Wald.
Eins wurde Borgfeld im Laufe der endlosen Stunden klar: Sonja macht sich wirklich Sorgen um Felix, dabei hat sie den Namen vorher nie erwähnt. Aber so ist das, wenn die Kinder erwachsen werden, sie gehen ihre eigenen Wege und erzählen nicht mehr alles. Nicht einmal Maria hat etwas von dem Jungen gewusst, und die hat sonst immer einen unschlagbaren Riecher in Gefühlsdingen. Dafür stürzt sie sich jetzt umso heftiger in die Angelegenheit. Detailliert wollte Maria alles über Felix wissen. Als Sonja dann irgendwann sagte, dass seine Eltern gerade in Schweden auf einer Paddeltour sind, legte Maria den Beschleunigungsgang ein.
»Du musst die Eltern benachrichtigen.« Unumstößlich stand der Satz im Raum. »Stell dir vor, dem Jungen ist etwas passiert und die paddeln da einfach weiter rum. Dieter, das kannst du nicht zulassen.«
Woher Maria so schnell die Handynummer der Rinsings hatte, war Borgfeld im Nachhinein nicht klar, aber ihre schier unerschöpflichen Kontakte in alle Kreise Burgdorfs zauberten die Zahlenkombination auch noch gegen zehn Uhr abends aufs Display ihres Handys. Allerdings hatte sie wieder Pech. Die schwedischen Seen, auf denen die Rinsings mit drei anderen Lehrerehepaaren paddeln, scheinen in einem Funkloch zu liegen.
»Und was soll ich deiner Meinung nach machen? Die Rinsings vielleicht von der Polizei in Schweden suchen lassen?«
Darauf hatte Maria keine Antwort gewusst. Genauso wenig wie auf seine Frage, was die Rinsings denn hier machen sollten. Schließlich hatte Borgfeld seine beiden Frauen so weit, dass sie ihm noch einen Tag Zeit zubilligten, bevor sie die Suche nach den Eltern aufnehmen wollten. Das bedeutet einen Tag Galgenfrist für ihn. Borgfeld stöhnt, als er an das Gespräch erinnert. An Handkuss und Paris ist nicht zu denken gewesen.
Beckmann schenkt sich eine Tasse Kaffee ein und sieht seine beiden Kollegen erwartungsvoll an.
»Was machen die Ermittlungen im Fall Broderich?«
»Er wohnt am Rand von Burgwedel in einer gemieteten Zweizimmerwohnung von irgendeiner Siedlungsgesellschaft. Keine besonders gute Lage. Wir trafen zufällig seine Nachbarin vor der Tür, die einen Ersatzschlüssel hat. In der Wohnung selbst haben wir nichts Auffälliges bemerkt – außer dass er ein Schmutzfink ist. Die Küche und das Klo strotzen vor Dreck. Überall benutztes Geschirr und leere Flaschen. Im Badezimmer stapelt sich die dreckige Wäsche, im Schlafzimmer sieht es ähnlich aus. Dafür ist sein Arbeitszimmer picobello sauber.«
Beckmann trinkt einen Schluck Kaffee und sieht Streuwald erwartungsvoll an. »Gab es interessante Hinweise zu seiner Person?«
»Ich habe kein Notizbuch oder so gefunden, wahrscheinlich hat er alles im Computer. Verwandte oder Freunde haben wir
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