Toedliche Offenbarung
deshalb auch nicht ausfindig machen können. Die Nachbarin meinte, sie habe auch nie jemanden bei ihm zu Besuch gesehen. Höchstens mal eine junge Frau. Aber auch die in der Regel nur einmal.«
»Habt ihr …« Nein, Beckmann brauchte nicht zu fragen, ob sie die Daten der Festplatte gespeichert hatten. So viel technischen Verstand haben die beiden nicht.
»Wir müssen an die Informationen vom PC kommen. Am besten, wir schicken jemanden von der Kriminaltechnik …«
»Siehste«, fällt Borgfeld Beckmann ins Wort und wirft Streuwald einen triumphierenden Blick zu. »Hab ich auch gesagt.« Er zeigt auf den Laptop, der auf dem gegenüberliegenden Sekretär steht. »Deshalb haben wir den gleich mitgenommen. Wir können ihn bloß nicht öffnen. Der hat so ein Passwort.« Dann deutet Borgfeld auf den blauen Plastikwäschekorb. »Und das ist der PC von Broderichs Schreibtisch.«
Beckmann greift zum Telefon. Ein Glück, dass er sich so gut mit Frank Rischmüller versteht.
7
Kann man wirklich in einen Misthaufen klettern? Martha hat ihre Zweifel daran. Die Situation erscheint ihr völlig unwirklich. Ein Mann baut sich eine Höhle im stinkenden Mist, beobachtet von dort aus, wie Sträflinge gejagt und abgeschlachtet werden, sieht, wie brave Celler Bürger Wehrlose jagen. Kleingärten sind übersät von Leichen, Heideflächen triefen vom Blut. Hat Clara sich diese Geschichte vielleicht doch ausgedacht?
Martha lenkt ihren Smart zügig über die Landstraße, die von Burgwedel über Fuhrberg nach Celle führt. Vor ihr fährt ein Reisebus aus Frankfurt. Auf dem Rückfenster klebt ein Schild. 10B2 auf Klassenfahrt. Blonde Mädchen winken ihr von der letzten Bank zu und lachen sie an. Links kommt die Abzweigung nach Bergen-Belsen. Der Bus blinkt hinter dem Hinweisschild für die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers und biegt kurz darauf ab.
Martha fährt ohne abzubremsen weiter. Sie drückt auf den Sendersuchlauf ihres Radios. Auf NDR läuft ein Bericht über die anhaltende Hitzewelle. Martha schwitzt schon beim Zuhören. Unter den Achseln ihres geblümten Sommerkleides zeichnen sich dunkle Schweißflecken ab. Sie hätte das ärmellose Kleid nehmen sollen.
Mit einem Seufzer lässt sie die Scheibe herunter. Der Fahrtwind verschafft ihr Kühlung. Das tut gut. Kurz darauf erreicht sie die Fuhrberger Straße. Kleine verputzte Einfamilienhäuser mit spitzen Ziegeldächern und geringen Dachüberständen säumen die Fahrbahn. Schlichte Bauten mit akkuraten Vorgärten, die meisten mit Jägerzaun oder der Gitterversion aus Schmiedeeisen. Vor den Fenstern hängen in Falten drapierte Stores. In den Beeten stehen orangefarbene Tangetis Spalier, blühen rote und pinkfarbene Geranien in braunen Plastikschalen. Nach einigen hundert Metern werden die nach dem Krieg entstanden Häuser von geklinkerten mit Kreuzgiebel und weißlackierten Sprossenfenstern abgelöst, die aus der Zeit der Jahrhundertwende stammen.
Martha hält am Straßenrand, als sie das Hinweisschild zu einem Sportplatz bemerkt. Könnte hier der Bauernhof mit dem Misthaufen gestanden haben? Martha sieht sich um, lässt den Platz auf sich wirken. Große Birken stehen am Rand. Und sonst? Martha ist sich nicht sicher, ob dies der Platz ist, an dem die Sammelstelle gewesen ist. Sie steigt wieder ins Auto. Nach wenigen Metern biegt sie rechts ab. Sie passiert im Schritttempo die Birkenstraße, entdeckt die Sophie-Dorotheen-Straße, dann die Riemannstraße. Sie fährt bis zum Ende, parkt und steigt aus. Hinter einem verwachsenen Zaun liegen die Bahngleise. Sie tritt dicht heran und schaut in beide Richtungen. Wo damals wohl der Zug gestanden hat? In einigen hundert Metern Entfernung meint Martha ein Bahnhofsgebäude zu erkennen.
Plötzlich spürt sie einen warmen Luftzug auf ihrer Haut, der ihren Schweiß trocknet. Es folgt ein kräftigerer Windstoß, der trockene Blätter aufwirbelt und sie zusammen mit einer Staubwolke die Straße entlangtreibt, direkt auf ein Auto zu, das mit aufgeklapptem Dach am Straßenrand parkt. Der Besitzer wird seine Freude haben, wenn er das Laub später heraussaugen darf.
Die kleinen Siedlungshäuschen reihen sich wie an einer Kette aneinander. Alle haben Gardinen vor den Fenstern, durch deren transparenten Stoff ab und an die Blätter grüner Topfblumen schimmern. In einem dieser Häuser hat Claras Zimmerwirtin gelebt. Es muss auf der rechten Seite liegen, die Fenster hatten Blick zu den Bahngleisen, sonst hätte ihr Nachbar nicht
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