Toedliche Offenbarung
die Züge sehen können. Martha kann sich genau daran erinnern, dass Messerschmidt Clara von den Bahngleisen berichtet hat. Auch sein Kleingarten muss ganz in der Nähe gewesen sein.
Vor dem ersten mehrgeschossigen Haus bleibt Martha stehen und inspiziert die Klingelschilder. Der Name Trott ist nicht dabei. Martha öffnet die Pforte des Vorgartens und geht auf den Hauseingang zu. Sie liest die Namen auf dem Klingelschild. Glück muss man haben.
8
Sonja schläft zusammengerollt im Sessel. Sie zuckt erschrocken zusammen, als der Klingelton ihres Handys anschwillt. Benommen blinzelt sie in die Sonne, die durch das Fenster scheint, während ihre Hand blind das Mobiltelefon sucht. Schlagartig ist sie wach. Ihr Herz schlägt aufgeregt.
»Felix? Bist du das?«
»Ist dort Sonja Borgfeld?«
Diese Stimme hat sie noch nie gehört.
»Ja. Und wer bist du?«
Es ist ein Peter, der fragt, ob die Mahnwache stattfindet.
»Selbstverständlich bleibt es dabei. Alles läuft wie geplant. Um 15:00 Uhr ist Treffen.«
Sonja beendet enttäuscht das Gespräch. Für einen Moment hat sie die Hoffnung gespürt, dass sich alles zum Guten wendet und Felix sich meldet. Jetzt ist er schon fast einen ganzen Tag verschwunden. Das bedeutet nichts Gutes.
Sonja steht auf und streckt sich. Alle Glieder schmerzen. Sie schlurft ins Zimmer ihres Bruders. Ali liegt mit dem Oberkörper auf dem Schreibtisch vor dem eingeschalteten Computer und schläft. Sonja rüttelt ihn.
»Gibt’s was Neues?«
Verschlafen reibt sich Ali die Augen.
»Papa ist schon los. Sie haben nichts von Felix gehört.« Er gähnt laut und sein Kiefer knackt. »Bei facebook habe ich jetzt 214 Kommentare zur Mahnwache. Alle positiv. Über SchülerVZ haben sich über vierzig gemeldet und gesagt, dass sie heute Mittag kommen wollen.« Er reckt sich und gähnt.
»Die Sache steigt doch – oder soll ich absagen?«
Energisch schüttelt Sonja den Kopf. »Nein, es bleibt dabei.«
9
Goldmann geht im Flur der Polizeiinspektion nervös auf und ab, als Rischmüller mit schnellen Schritten die Treppe erklimmt und an ihm vorbei ins Zimmer von Borgfeld und Streuwald stürmt.
Hinter ihm knallt die Tür ins Schloss.
»Moin allerseits, Frank Rischmüller, LKA.« Er zwinkert Beckmann zu. »Dass mir das aber nicht zur Gewohnheit wird. Der Dienstweg sieht anders aus.« Rischmüller scheint mit seinen zerzausten Haaren und den dunkel schimmernden Bartstoppeln gerade aus dem Bett gefallen zu sein. »Ich bin erst gegen vier zu Hause gewesen. Wir sind mit den Mädels vom Nachbartisch noch ins Zaza gegangen.«
Beckmann kennt die Diskothek gegenüber vom Hauptbahnhof – ein seit Jahren angesagter Treffpunkt für Nachtschwärmer.
»Entschuldige, dass ich dich so früh gestört habe.«
»Schon gut, Hauptsache, ihr habt einen starken Kaffee für mich.« Rischmüller greift begierig nach der Tasse, die ihm Streuwald reicht. »Draußen geht übrigens einer in kurzer karierter Hose und Polohemd auf und ab. Will der zu euch?«
Beckmann nickt. »Das ist der Präsident vom Golfclub, aber der kann warten. Wir müssen erst mal die Fakten von gestern zusammentragen – außerdem schadet es nicht, wenn er ein bisschen weich gekocht wird.«
»Diese Telefonliste bringt uns wirklich weiter«, nuschelt Borgfeld, der sich gerade über das zweite Croissant hermacht. »Toll, was ihr beim LKA für Möglichkeiten habt.«
»Danke für die Blumen.« Rischmüller zwinkert Beckmann zu. »Wo ist denn das Schätzchen?«
»Steht auf dem Schreibtisch. Du kannst der Kleinen im Nebenzimmer das Reden beibringen.« Dann zeigt Beckmann auf den blauen Wäschekorb. »Und hier ist der große Bruder dazu.«
»Passwörter knacken ist meine Leidenschaft.« Rischmüller grinst und seine Grübchen bilden tiefe Einschnitte in der Wange. »Apple. Power Book G4. Schönes Stück. Aber schon ziemlich betagt.«
10
Felix erwacht. Er versucht, den Kopf zu heben, aber ihm wird sofort schwindelig. Alles tut ihm weh. Die Rippen, die Beine, der Schädel. Der vor allem. Etwas kitzelt unter den Armen. Vorsichtig öffnet Felix die Lider einen winzigen Spalt. Gleißendes Sonnenlicht trifft ihn unvermittelt. Er blinzelt und schließt die Augen sofort wieder. Wo bin ich?
Vögel zwitschern. Weiter weg hört er das Gekreisch von Krähen. Über ihm hämmert etwas. Dann ein Donner. Noch einer. Kaum hat Felix sich an die grellen Strahlen gewöhnt, sieht er sich um, ohne sich zu rühren. Um ihn herum lila gesprenkeltes
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