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Toedliche Offenbarung

Titel: Toedliche Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Kuhnert
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Es hilft alles nichts, Matusch muss abtauchen. Der hagere Anwalt rubbelt sich den Rücken ab und geht in Gedanken verschiedene Varianten durch. Eine Idee nimmt langsam Gestalt an. Er wird sich Matusch gleich vornehmen.
     

4
     
    Martha greift nach dem Papierstapel. Bevor sie zu Roswitha aufbricht, hat sie noch Zeit.
     
    Emil Zander, Jahrgang 1932, 20 Jahre, Maurer, wohnhaft Riemannstraße
    Der Wilhelm hat mir gesagt, dass Sie mich unbedingt sprechen wollen, wegen damals.
    Gegen acht bin ich mit dem Wilhelm in Richtung Fuhrberger Straße losgelaufen. Ab durch die Gärten. Bis der vom Volkssturm kam und uns anhielt. Ich hab ihn gleich erkannt und bin stehen geblieben, es war unser alter Schulhausmeister Pietsch. Der Wilhelm, der war schlauer, der hat gleich was von seiner Tante erzählt und ist abgehauen. Aber mir drückte der Pietsch eine Pistole in die Hand und befahl mir, mitzukommen.
    »Das ist deine Pflicht als Deutscher«, nuschelte er durch seine Zahnlücken.
    Da traute ich mir nicht zu widersprechen, irgendwie kam ich mir auch geschmeichelt und plötzlich erwachsen vor. Also begleitete ich Pietsch. Bald stießen wir auf einen kleinen Trupp von bewaffneten Volkssturmmännern. Die durchsuchten Häuser und Gärten hinter dem Bahndamm nach entlaufenen Häftlingen. Als einer von diesen Volkssturmleuten einen Entflohenen entdeckte, musste der sich auf die Erde knien und bekam von ihm einen Schuss ins Genick.
    »Gnadenschuss nennt man das«, zischte der alte Hausmeister.
    Der mit dem Genickschuss lag mit dem Gesicht im Dreck, die Hälfte seines Kopfes fehlte, das Gehirn klebte an der Laube. Als ich das gesehen habe, konnte ich nicht mehr und gab dem Pietsch die Waffe zurück. Der meinte: »Lass mal gut sein. Dann hilfst du uns eben morgen früh beim Tragen.«
    Pünktlich um sechs Uhr am nächsten Tag war ich wieder da. Ich durfte ja nicht einfach wegbleiben, die merkten sich so was.
    Die vom Volkssturm gaben mir eine Kiste mit Munition. Es war noch dämmerig, als wir Richtung Neustädter Holz losgingen. Nach kurzer Zeit stießen zwei SS-Leute zu uns, die uns von da an begleiteten. Immerzu wurde mit den Gewehren in die Hecken gestoßen und gelauscht, ob jemand ein Geräusch von sich gab, aber sie fanden niemanden.
    Nach einer Weile kamen wir an eine Senke. Die aufgehende Sonne tauchte das Moos in goldenes Licht, die Heide schimmerte kupfern, wie in den Gedichten von Hermann Löns. Die hatten wir ein paar Wochen vorher in der Schule durchgenommen. Genau daran habe ich damals gedacht. Wirklich. Ein paar verstreut stehende Kiefern verteilten sich auf der Fläche, dazwischen kleine Birkenbäumchen, ab und an ein mannshoher Machangelbusch. Ein Uhu heulte und alles wirkte so friedlich – bis wir sie entdeckten. Acht Männer in Sträflingskleidung lagen unter dem Buschwerk. Hausmeister Pietsch sagte gleich: »Die sind tot.«
    Einer der SS-Leute brach einen dünnen Zweig von einer Birke ab und schlug ihn einem der Toten ins Gesicht. Der war ganz jung und hatte einen viel zu langen Hals. Die Augenlider zuckten bei diesem Schlag kurz, dann lagen sie wieder ruhig da. Er lebte. Mir wurde ganz flau im Magen.
    Der SS-Mann mit dem Birkenzweig, ein Volkssturmmann und ich, standen etwa zweieinhalb Meter von ihm entfernt, der andere von der SS befand sich rechts von uns. Eigentlich konnte er nichts gesehen haben.
    »Wollen wir weitergehen?«, versuchte ich abzulenken, aber der seitlich Stehende nahm seinen Karabiner von der Schulter und schoss dem Häftling in den Kopf. Einfach so. Seine Gehirnmasse flog uns allen um die Ohren. Zu Tode erschrocken, ließ ich den Kasten mit der Munition fallen. Nichts wie weg, war das Einzige, was ich noch dachte. Ich bin durch den Wald gelaufen und drehte mich nicht einmal mehr um. Vom Bahndamm kam mir bei den Kleingärten eine lang gezogene Kette von Polizisten entgegen. Sorgfältig durchkämmten die systematisch die einzelnen Parzellen und schreckten Sträflinge auf, die sich in Lauben verkrochen hatten. Die Uniformierten trieben diese ausgemergelten Kerle erst ein paar Meter vor sich her. Dann schossen sie. Einer nach dem anderen brach tot zusammen. Die ballerten ohne Vorwarnung auf alles, was Sträflingskleidung anhatte und sich rührte, sogar auf die, die schon blutüberströmt auf dem Boden lagen, sich aber noch bewegten. Ich winkte ihnen zu, damit sie mich nicht etwa verwechselten und rief: »Hallo, Herr Bollund. Ich bin‘s, nicht schießen.«
    Klar, der Bollund war dabei, den kannte ich

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