Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
es nicht zulassen?«
»Nein. Natürlich lasse ich es nicht zu. Das könnte ich gar nicht, Liebling.«
Um ihn zu beschwichtigen, hätte sie ihm jetzt gerne von Dot erzählt. Doch da Ted ungeduldig im Wohnzimmer wartete, war dafür keine Zeit.
»Küss mich!«, sagte er mit Heftigkeit.
Sie küsste ihn, und sie wandte sich ihm mit der ganzen Zärtlichkeit ihres Herzens zu, so wie sie es immer tat. Es war berauschend, so sehr geliebt zu werden, aber auch beängstigend.
»Oh, ich muss jetzt wieder ins Haus hinein, Liebling«, sagte sie. Und mit derselben Willensanstrengung, mit der sie die Leidenschaft in sich bezähmte, riss sie sich aus seiner Umarmung.
»Versprich es mir!«, sagte er. »Schwöre es!«
»Oh, ich verspreche es dir, Liebling. Wirklich. Auf Wiedersehen, Liebling.«
Auf Zehenspitzen lief sie den Weg wieder zurück. Sie schlich in die Küche hinein, und mit unendlicher Vorsicht schloss sie geräuschlos die Küchentür. Einen Moment lang musste sie, die Hand auf der Brust, innehalten und warten,dass ihre Atmung sich beruhigte und das stürmische Pochen ihres Herzens sich verlangsamte. In der Waschküche war ein Spiegel, vor dem sie sich das Haar richten konnte. Dann zwang sie sich, mit ihrem gewohnten festen Schritt ins Wohnzimmer zurückzugehen. Sie versuchte, unauffällig in ihren Sessel zu gleiten und ihre Näharbeit wieder zur Hand zu nehmen. Doch es war schwierig, unauffällig zu sein, wenn Ted dort saß und nichts weiter zu tun hatte, als sie zu betrachten. Sie wusste, was es zu bedeuten hatte, wenn Ted sie unentwegt so ansah.
»Du hast ja viel zu tun heut Abend«, sagte Ted.
»Es ist eben viel zu tun, wenn alles wieder in Ordnung gebracht werden soll«, erwiderte sie.
Sie versuchte, sanft und gleichgültig zu sprechen. In ihrer Stimme sollte kein Vorwurf mitschwingen, denn das würde Ted nur wütend machen, und sie hatte Angst vor ihm, wenn er wütend war. Zugleich wusste sie, dass sie länger im Garten gewesen war, als sie sollte. Was, wenn Ted in die Küche gekommen wäre, sie dort nicht angetroffen und auch auf dem Herd nichts hätte stehen sehen? Dann hätte er das mit George vielleicht geahnt. Diese grundlose Angst ließ sie erzittern. Sie stach sich durch den Stoff hindurch heftig mit der Nadel in den linken Zeigefinger, unter den Nagel, und ertrug den Schmerz reglos, aus Angst, dass ihre Ungeschicklichkeit auffallen könnte. Sie hatte schreckliche Angst. Während sie den Blick auf ihre Arbeit gesenkt hielt, hatte sie das Gefühl, dass Ted, der nur zwei Meter entfernt saß, anschwoll und immer größer wurde, bis er beinahe das ganze Zimmer ausfüllte und sie erstickte. Es war dasselbe Gefühl wie in einem grauenhaften Albtraum. Sie empfand Ekel und ein plötzliches Gefühl der Übelkeit. Hass und Angst und Abscheu überwältigten sie. Wäre sie allein gewesen, so wäre sie unterSchluchzen zusammengebrochen, doch solange Ted sie beobachtete, musste sie ruhig und gleichgültig bleiben, über ihre Näharbeit gebeugt, und mit aller Macht darum kämpfen, ihre Kraft und ihren Verstand wiederzugewinnen.
»Nun«, sagte Ted, »du siehst besser zu, dass du fertig wirst mit dem, was du da tust, denn in ’ner halben Minute will ich deine ganze Aufmerksamkeit für mich allein.«
Es gab nur eine Ausrede, die sie anbringen konnte. Sie hatte sich schon im Laufe des Tages Gedanken gemacht um das Für und Wider dieser Ausrede. Und eigentlich hatte sie sie gar nicht benutzen wollen; sie hätte die Angelegenheit viel lieber endgültig und zufriedenstellend gelöst, den edlen Vorsätzen entsprechend, die sie vor drei Tagen in Georges Armen gefasst hatte – die Ausrede würde alles nur noch ein weiteres Mal aufschieben, ohne eine dauerhafte Lösung zu bieten, und sie war vernünftig genug, um zu wissen, dass Ausreden und Aufschübe immer eine Gefahr bargen; und eine umso größere Gefahr sogar – eine sehr viel größere –, wenn die Ausrede nicht nur eine Lüge war, sondern diese Lüge im Laufe der Zeit auch noch offen zutage treten würde.
Doch ihre erschütterten Nerven zwangen sie dazu, sie zu benutzen. Sie konnte es nicht ertragen, noch länger über irgendwelche heldenhaften Pfade, die es einzuschlagen galt, zu grübeln. Sie brachte ihre Lüge so tapfer vor, wie sie es konnte.
»Es ist ein Fluch, nicht wahr?«, sagte sie.
»Ja«, schnauzte Ted, verärgert und enttäuscht. Geschah ihm ganz recht, dachte er. Wieso hatte er gestern auch eine so rührselige Nachsicht gezeigt?
15
Mrs Clair
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