Tödliche Option
Eisbeutel kam wieder auf die Wange. Carlos’ Augen
glitzerten. Er sah nicht viel älter aus als an dem Tag, an dem sie sich in
einer Tanzklasse kennengelernt hatten. »Fünfzehn Jahre«, murmelte sie.
»Fünfzehn Jahre?«
»So lange kennen wir uns schon«, sagte sie
zärtlich.
»Ach so. Ich machte mir schon Sorgen.« Er
kitzelte die Sohle ihres nackten Fußes.
»Hör auf!« Sie versuchte, den Fuß wegzuziehen,
aber er hielt sie am Knöchel fest.
»Ich höre auf, wenn du mich ausreden läßt.«
»Sprich.« Sie schloß die Augen.
»Ich mache die Choreographie für Mort Hornbergs
nächste Show.«
»Was? Das ist toll. Worum geht es? Wann beginnst
du mit den Proben?«
»Noch keine Termine. Irgendwann nächstes Jahr.
Interessantes Thema, aber du weißt ja, was für ein Geheimniskrämer Mort ist.
Ich möchte dich etwas Ernstes fragen, Häschen.«
»Okay, schieß los. Hoppla.« Sie schlug sich mit
der Hand auf den Mund, wobei sie zusammenzuckte. »Tut mir leid. Ich höre auf,
dich zu quälen. Ich bin wohl etwas hysterisch.« Sie kicherte, dann bekam sie
Schluckauf.
»Mort ist Feuer und Flamme. Möchtest du als
meine Choreographieassistentin zurückkommen?«
»In diesem Leben nicht, mein Guter.«
»Entschuldige, daß ich gefragt habe.«
Er machte ein so enttäuschtes Gesicht, daß sie
sich aufsetzte und ihm einen Kuß auf die Wange drückte. »Ich freue mich trotzdem,
daß du gefragt hast.«
»Laß den Eisbeutel darauf«, ordnete er streng
an. »Das wäre nie passiert, wenn du beim Theater geblieben wärst.«
»Ja, weil die meisten von den Knaben schwul
sind.«
»Das genügt. Ich verstehe einen Wink.« Er stand
auf.
»Ich mache Spaß, ich mache doch nur Spaß!«
»Ich nehme deine Entschuldigung an, aber ich muß
gehen. Ich habe eine Umbesetzung für heute abend, und ich komme zu spät zur
Probe. Ist sonst alles in Ordnung?«
»Ja, Carlos. Vielen Dank. Von ganzem Herzen.«
»Ich weiß, Liebes. Laß dich auf die schiefe Nase
küssen und erlaube mir zu gehen.«
Sie begleitete ihn bis zur Tür. »Wo hast du die
Tafel Schokolade hingelegt?«
»Meinst du die riesige?«
»Mhm.«
»Auf die Küchentheke.«
»Okay, jetzt darfst du gehen.«
Mit der Hand auf dem Herzen sagte er: »Ich bin
am Boden zerstört.«
Sie schob ihn zur Tür hinaus und schloß sie
hinter ihm.
Es klingelte an der Tür. Der Klang schien um sie
herum widerzuhallen. Sie öffnete die Tür.
»Hätte ich fast vergessen«, sagte Carlos. »Dwayne
sagt, du hast bei ihm angerufen, aber sein Apparat hat deine Telefonnummer
verschluckt, deshalb habe ich sie ihm gegeben.« Er wedelte ihr mit den Fingern
zu und stieg in den Aufzug.
»Danke, Kumpel.« Sie fühlte sich wacklig auf den
Beinen. Vielleicht würde Dwayne sie nicht vor morgen anrufen. Sie tappte in die
Küche und fand die Tafel Schokolade, die sie erst in Stücke brach, bevor sie
sie auswickelte. Dann legte sie ein kleines Stück auf die Zunge und ließ es
zergehen. Sie wollte stark sein und sich durch das, was passiert war, nicht so
weit bringen lassen, daß sie vor dem eigenen Schatten Angst hatte. Aber ihre
Persönlichkeit war verletzt worden, und sie fühlte sich vergewaltigt. »Wenn du
dich wie ein Opfer fühlst«, sagte sie laut, »dann wirst du zu einem. Laß das
sein.«
Der Anrufbeantworter zeigte fünf Nachrichten an.
Sie drückte auf Abspielen.
Doug Culver. Den hatte sie völlig vergessen. Sie
hätte ihn am gestrigen Abend anrufen sollen. Nun, mittlerweile wußte er, warum
sie nicht angerufen hatte.
Smith.
Laura Lee. Die Party für Anne fand am Sonntag
statt. Auch das hatte sie vergessen. Ein schönes Bild würde sie abgeben. Nicht
einmal ein Schleier würde helfen.
Wie wär’s mit einem schönen bestickten
Futtersack mit Atemlöchern, Wetzon?
Noch einmal Smith.
Dann: »Leslie Wetzon, hier ist Abby Gorham,
Chris’ Frau. Ich bitte Sie, nicht auf der Anklage zu bestehen. Chris schämt
sich furchtbar für das, was er getan hat. Er hat versprochen, sich in eine
Therapie zu begeben. Ich habe zwei Kinder, die ihren Vater brauchen.«
Du meine Güte, im Moment hatte sie nicht gerade
das Bedürfnis, sich nachsichtig zu zeigen. Erst Smith — mit ein wenig Nachhilfe
von Destry — jetzt das. Wetzon fragte sich, woher Abby ihre Privatnummer hatte.
Vielleicht stand sie in Chris’ Adreßbuch. Oder steckte Smith dahinter?
Sie seufzte und rief Laura Lee an.
»Fühlst du dich nicht wohl? Man hat mir gesagt,
daß du heute nicht im Büro bist.« Wetzon hörte Laura Lees anderes
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