Tödliche Option
Telefon im
Hintergrund summen.
»Ich hatte einen kleinen Unfall, aber es geht
schon wieder... glaube ich.«
»Du hörst dich nicht gut an. Was ist passiert?«
»Eine Meinungsverschiedenheit. Ich wurde ein
bißchen aufgemischt.«
»Smith?«
»Ach was, nein.« Wetzon mußte lachen. »Smith’
Attacken sind immer emotional, Laura Lee.«
»War es jemand aus der Branche?«
»Mir ist jetzt nicht danach zumute, groß davon
zu reden. Ich berichte es dir morgen.«
»Okay, dann gilt unsere Verabredung für morgen
noch?«
»Na klar. Aber könntest du das Einkaufen erledigen?
Ich sehe scheußlich aus. Ich werde maskiert zu der Party kommen müssen.«
»Maskiert?«
»Ich bekam einen Fausthieb ins Gesicht.«
Sie hörte, wie Laura Lee schnell Atem holte. »Es
war Chris Gorham, ja?«
»Laura Lee, du hast es gehört?« .
»Nein, das nicht. Was ich gehört habe, war, daß
jemand bei Luwisher Brothers wegen häuslicher Gewaltanwendung festgenommen
wurde — oder wie immer das männliche Establishment das Zusammenschlagen von
Frauen nennt. Ich wußte nicht, daß es sich um dich handelte.«
»Wie hast du es dann geraten?«
»Das sage ich dir morgen«, antwortete Laura Lee
mit gepreßter Stimme.
»Und jetzt bitte Ms. Wetzon, die
unseren Ehrengast vorstellen wird.«
Sie stand auf und schwebte zum Pult, als wäre
sie leichter als Luft. Die Band spielte »What’s new, Pussycat.«
Sie blickte über die Masse der Gesichter im Saal
der New Yorker Börse, sah sie auf und ab wogen wie Weizen im Wind. Wer war der
Ehrengast, überlegte sie in Panik. Ihre Hand, die ein Blatt umklammerte,
zitterte heftig. Sie faltete das Papier auf und verlas die Namen und Zahlen auf
der fotokopierten Liste.
Kellner in schwarzen Smokings und OP-Masken
schlängelten sich in einer Congakette um und über das Podium, während sie den
»What’s new, Pussycat«-Refrain sangen. Der Kellner an der Spitze balancierte
auf der Fingerspitze ein Coca-Cola-Tablett mit einem einzigen Drink. Perrier
mit Limone. Er bot es Wetzon an, die den Kopf schüttelte und zurückwich, doch
das Ende der Congakette schwenkte herum und nagelte sie fest, eine lebende
Barriere.
»Trinken Sie!« schrie der Kellner an der Spitze,
die Stimme gedämpft durch die OP-Maske.
»Trink es!« rief Smith.
»Trinken Sie!« schrie Hoffritz.
»Ja, los«, sagte Destry, der die Nachhut
bildete.
»Tun Sie’s nur, Wetzon«, sagte Dougie Culver,
indem er die Schultern hochzog und die Hände mit den Handflächen nach oben
ausstreckte. »Ich kann Sie sehr gut leiden... ich respektiere Sie... aber Sie
haben keine Option.«
»Keine Option, keine Option«, riefen alle im
Chor.
Der Kellner stieß das Perrier nach ihr, mit
Augen wie Onyx, ausdruckslos und schwarz. Hilfe, dachte sie. Er drückte
den Rand des Glases an ihre Lippen, während die anderen sie festhielten, und sie
schluckte die faulige Flüssigkeit und würgte. Die Weizenhalme schlossen sich um
sie und wirbelten erstickenden Staub auf. Ihre Augen brannten und tränten. Sie
riß sich von denen los, die sie gefangenhielten, und mit dem letzten Quentchen
Kraft zerrte sie die OP-Maske vom Gesicht des führenden Kellners. Charlie Chan.
Er grinste und starrte sie ohne zu blinzeln an.
»Die uralten Ahnen sagen, der ist ein weiser Mann, der Rauch vom Feuer trennen
kann.«
»Aber ich bin eine Frau«, schrie sie, während
sie sich in den Weizen sinken fühlte.
»Dann vertraue deiner Eingebung«, sagte die
asiatische Stimme, während die Glocke tönte, die den Schluß des Börsentages
ankündigte.
Und tönte.
Sie rollte auf ihre linke Seite, womit sie einen
dumpfen klopfenden Schmerz auslöste, der sie aufweckte. Wieder auf dem Rücken
liegend, nahm sie langsam ihre Umgebung wahr. Sie fühlte sich, als wäre sie mit
Fäusten bearbeitet worden. Was ja auch zutraf. Sie öffnete die Augen und ließ
die Finger den Schaden erkunden. Wunder über Wunder, ihr linkes Auge
funktionierte wieder. Ein bloßer Schlitz, aber es ging wieder. Eine krustige
Grindschicht hing an den Wimpern. Die geschundene Haut auf der Wange hatte
einen Schorf so dick wie ein Teppich gebildet. Ihr Unterkiefer schmerzte. Sie
ließ ihn vorsichtig kreisen, öffnete und schloß prüfend den Mund. Das leise
Poltern von Silvestris Stimme kam aus dem Zimmer nebenan herüber und beruhigte
sie. Im Halbschlaf jagte das Geräusch der Dusche sie wieder in den vergangenen
Abend zurück, und sie krümmte sich unter der leichten Decke, bis ihr bewußt
wurde, daß sie in Sicherheit war,
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