Tödliche Option
spöttisch an, indem er eine Braue
hochzog. »Eines nicht so fernen Tages wird dich jemand dabei ertappen, wie du
an Schlüssellöchern lauschst.«
»Ach, laß, Silvestri, es war Zufall. Einfach
Glück.«
»Klar.« Silvestri runzelte nachdenklich die
Stirn. Er trommelte mit dem Kugelschreiber auf den Tisch. »Neils Familie
besitzt ein koscheres Feinkostgeschäft in der Second Avenue.«
»Kein Wunder, daß sie alle auf ihn herabsehen.
Ihm fehlt das blaue Blut. Aber was hat das mit Neil und den Morden zu tun?« Ihr
schwirrte der Kopf. »Ach so!«
»Richtig. Wer will wissen, ob nicht noch eine
vergessene Büchse Sulfitpulver im Lagerraum des Ladens herumlag, nachdem es
verboten worden war?«
»Tom Keegen.« Smith schürzte die Lippen,
während sie langsam die Silben aussprach. Sie stützte eine Hüfte auf die
Schreibtischkante, halb sitzend und mit dem Bein schaukelnd.
»Tom Keegen?« Harolds linkes Augenlid zuckte
heftig hinter der Hornbrille. Er wandte den Kopf abwechselnd von Smith zu
Wetzon.
»Ja, Harold. Hast du von ihm gehört?« fragte
Wetzon.
»Hm... äh, ja...«
»Wer ist denn das, mein Lieber?« schnurrte
Smith. In ihrer Stimme lag soviel Gehässigkeit, daß sogar Wetzon erschrak.
»Hm... äh... er... ich meine...«
»Heraus damit, Harold.«
»Er... äh, er ist Headhunter.« Harold trat von
einem Fuß auf den anderen und sah Wetzon hilfesuchend an, doch sie hatte sich
mit ihrem Stuhl gedreht und kehrte ihm den Rücken.
»Ganz recht, mein Lieber. Und was ist sein
Spezialgebiet?«
»Hm… äh, du meinst... Börsenmakler?«
»Ausgezeichnet, Lieber. Ist das nicht ausgezeichnet,
Wetzon?«
Wetzon drehte sich wieder zurück »Ja,
wahrhaftig. Was hast du gestern mit Tom Keegen gemacht, Harold?«
»Ich... hm... oh...« Harold betrachtete seine
abgestoßenen Schuhe und hob wieder den Kopf. »Du hast mich gesehen?«
»Ich nicht, aber Smith. Ich habe im Büro
gearbeitet und mich gewundert, warum du so lange für den Arzt brauchst.«
»Ach so.«
»Arbeitest du gern hier, mein Lieber?« fragte
Smith zuckersüß.
»Ja... äh... sicher.« Er geriet ins Stottern.
»Ich glaube nicht, daß er gern hier ist, du
etwa, Smith?« bemerkte Wetzon.
»Nein, ich auch nicht.«
»Bitte... Smith, Wetzon. Wir gehen zum selben
Augenarzt. Ehrlich. Er hatte den Termin vor meinem. Er sagte, er kennt meinen
Namen, weil die Makler sich so freundlich über mich äußern.«
»Harold, wie konntest du bloß? Nach allem, was
wir für dich getan haben?« Smiths Stimme war hart.
»Nein... ich... bitte, Smith. Ich habe nichts
getan. Er... äh, er hat mich zu einem Drink eingeladen. Ich wollte eigentlich
nicht mitgehen.«
»Aber du bist mitgegangen?«
»Na ja...« Harold fing sich. »Ich dachte so für
mich, was du wohl tun würdest, Smith, und da war mir sofort klar, daß ich
annehmen und ihm etwas vormachen sollte, um zu hören, was er mir erzählen
würde.«
Dieser raffinierte kleine Lügner, dachte Wetzon. Doch er hatte recht, nicht nur
in bezug auf Smith. Auch Wetzon hätte versucht, Keegen auszuhorchen.
»Hm.« Smith’ Augen waren dunkle Schlitze. »Und
was hatte er Schönes zu sagen?«
»Das wollte ich dir erzählen, ehrlich, aber du
warst nicht hier, als ich zurückkam.«
»Du hättest es mir sagen können«, meinte
Wetzon. »Ich war hier, oder nicht?«
»Ja, aber ich wollte es euch zusammen erzählen.« Er hörte auf zu stottern und wurde selbstbewußter. »Er bot mir eine
Stelle an.«
»Ach wirklich?« Smith gähnte übertrieben.
»Habt ihr über Zahlen gesprochen?« fragte
Wetzon. Jetzt spürte sie, daß er die Wahrheit sagte.
»Na ja, sicher. Er sagte, ich würde bei ihm viel
mehr verdienen.«
»Moment mal«, mischte Smith sich wieder ein.
»Hast du diesen Spruch nicht schon einmal gehört? Hast du ihn nicht selbst
gebraucht?«
»Aber, Smith, ich würde nie daran denken, hier
wegzugehen. Ihr habt mir alles beigebracht, was ich kann, ich fühle mich hier
wohl...«
»Ich möchte dich daran erinnern, Harold«, sagte
Smith, »daß du einen Vertrag mit uns hast. Du hast ihn unterschrieben, als du
anfingst, und er verlängert sich automatisch um ein Jahr, wenn er nicht von dir
oder uns drei Monate vorher gekündigt wird.«
Wetzon hatte den Vertrag ganz vergessen. Jetzt
fiel ihr ein, daß Leon, ihr früherer Anwalt, ihn auf Smith’ ausdrücklichen
Wunsch hin aufgesetzt hatte, allerdings mit dem Kommentar, daß er vor Gericht
wahrscheinlich nicht anerkannt werden würde.
»Ja, richtig... der Vertrag.«
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