Tödliche Option
nippte. Sie blickte hinaus auf die Central Park South mit ihrem Gewühl
von Taxis und Personenwagen. Der Berufsverkehr verstopfte die breite,
großzügige Straße, die am unteren Ende des Central Park verlief. Draußen war es
immer noch über fünfunddreißig Grad warm, und die Menschen gingen langsam und
sahen schlapp und erschöpft aus. Die Pferde und Kutschen, die man hier sonst
sah, waren in ihren Unterständen, wie es den Vorschriften bei großer Hitze
entsprach.
»Oooh, Dar!« Der Schrei rührte von einer Frau in
mittleren Jahren am Nebentisch, die dichtes lockiges aschblondes Haar mit einem
gelockten Pony bis über die Augenbrauen hatte. Sie winkte aufgeregt einer
anderen Frau, die am Eingang stehengeblieben war und sich umschaute. Dar hatte
die gleiche Frisur in Braun. Eine dritte Frau mit der gleichen Frisur gesellte
sich zu ihnen, und zusammen hatten sie so viele Einkaufstaschen — Saks,
Bergdorfs Bloomie’s, Bendel’s — , daß sie zwei Extrastühle brauchten. Es
war eine Art Wiedersehensfeier, und Wetzon, die wie immer die Ohren spitzte,
erfuhr, daß Dar aus Boston eingeflogen war. Bald stieß eine große Frau mit
einer Mütze aus rötlichem Haar und eine andere, etwa in Wetzons Größe, mit
weißem Bubikopf zu ihnen. Sie schienen sich über das Wiedersehen so zu freuen,
daß Wetzon lächeln mußte, während sie sie beobachtete.
Sie erfuhr nie den Anlaß des Zusammentreffens.
Ellie Kaplan erschien, und Wetzon streckte eine Hand hoch, um auf sich
aufmerksam zu machen.
Auf einen flüchtigen Blick hätte Ellie eine
Stadtstreicherin sein können. Ihr gelbes Leinenkleid war zerknittert, das
silberne Haar hing ihr feucht in die Augen. Das Make-up war verschmiert und die
Augen verquollen.
Mit einer nervösen Bewegung strich Ellie das
Haar zurück und ließ sich schwer auf den Stuhl fallen. »Bitte einen
Booth-Martini, pur und sehr trocken«, sagte sie zum Kellner. Sie nahm ein
goldenes Zigarettenetui aus der Handtasche, klappte es auf und hielt es Wetzon
hin, die den Kopf schüttelte.
»Ein hübsches Etui.«
Ellie nahm eine Zigarette heraus, ließ das Etui
zuschnappen, klopfte die Zigarette elegant auf das geschlossene Etui und
zündete sie mit einem goldenen Feuerzeug an. Sie sah Wetzon mit einem
durchdringenden, abschätzenden Blick an. »Reden wir nicht davon, zu welchem
Friseur wir gehen.«
»Okay.«
Statt dessen unterhielten sie sich über die
frühe Hitzewelle, den öffentlichen Verkehr in der Stadt, Politik und hatten
gerade ein Bewertung des nationalen Haushaltsdefizits abgeschlossen, als der
Kellner, ein älterer Mann in fadenscheinigem Smoking, den Martini brachte und
vor sie stellte. Eine auf einen Zahnstocher gespießte Olive lag unten im Glas.
Ellie sagte zu ihm: »Bringen Sie mir doch bitte gleich noch einen, dann brauche
ich später nicht nach Ihnen zu suchen. Einverstanden, Wetzon?« Sie nahm einen
kurzen, scharfen Zug an der Zigarette, indem sie den Rauch inhalierte und durch
die Nase ausatmete.
»Natürlich.« Ellie hatte schon vorher getrunken,
wie Wetzon sah, und war auf dem besten Weg, betrunken zu werden.
»Ich weiß, daß Sie vom Geschäft reden möchten,
Wetzon. Sie sind im Geschäft; ich bin im Geschäft.« Ellie lachte. »Und ich
möchte nicht vom Geschäft reden. Was haben Sie sonst anzubieten?« Sie trank den
Martini zur Hälfte aus, erwischte den Zahnstocher mit dicken Fingern und
steckte die Olive in den Mund, dann zerbrach sie den Zahnstocher in kleine
Stücke.
»Ich liebe es!« kreischte eine der Frauen
am Nebentisch.
»Wie wäre es mit Freundschaft?« schlug Wetzon
vor.
»Was ist damit?« Ellie trank den Martini aus und
starrte in das leere Glas. »Wissen Sie, wie es Frauen in dieser Branche geht,
wenn sie nicht mit denen mitspielen wollen?« Sie starrte Wetzon an. »Was ist
nur los mit mir? Natürlich wissen Sie es. Tut mir leid, Wetzon. Im Leben geht
es immer anders, als man möchte. Man macht Pläne, man denkt, man hat alles
geordnet, und dann zerrinnt es einem einfach, und der Schutt ist schlimmer als
alles vorher.«
Wetzon blies die Eiswürfel in ihrem Glas herum.
Sprach Ellie von David?
»Sie sagen ja gar nichts, Wetzon. Sie müssen
auch Ihren Beitrag zu unserem Gespräch leisten.«
»Woher kommen Sie, Ellie?«
»Ursprünglich?« Sie nahm einen großen Schluck
vom neuen Martini. Wetzon nickte. Ellie saß mit dem Rücken zum Fenster, und
Wetzon, ihr gegenüber, sah nur ihre Silhouette, umrahmt vom letzten
Sonnenlicht.
»Ich wuchs in Forest Hills auf.
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