Tödliche Option
traf ihr Gesicht, stach Augen
und Lippen — aber es war gar kein Schnee. Es war irgendein weißes Pulver. Gefahr,
Gefahr, erklang ein Sirene in ihrem Kopf. Es schneite Sulfite.
Alle Spieler sahen jetzt, bedeckt von dem weißen
Pulver, wie Gespenster aus. Das Spiel war zu Ende. Als der nächste Donnerschlag
kam, zuckte sie zusammen, warf dabei das Buch auf den Boden und wachte auf.
Sei still, mein Herz, dachte sie, indem sie die Hände auf die
pochende Brust preßte. Sie war bei Licht eingeschlafen und hatte einen ihrer
berühmten Träume gehabt. Silvestri war nach Hause gekommen; sie konnte ihn in
der Diele hin und her gehen und mit dem Schlüssel klappern hören.
Wahrscheinlich hatte er die Tür zugeschlagen und sie dabei geweckt. Sie sah auf
die Uhr. Halb eins. Sie stand auf und hob das Buch auf.
»Tag«, sagte er, während er durch den Flur
stampfte. Bevor er noch ins Zimmer kam, merkte sie, daß er gereizt war. Er
hängte seine Jacke in den Schrank, schüttelte die Schulterhalfter ab und hängte
sie über den Türgriff. Das blaue Baumwollhemd war voller Schweißflecken. Als er
sie endlich ansah, fiel ihr auf, daß seine Augen vor Erschöpfung gerötet waren.
Sein Gesicht war dunkel von den Bartstoppeln.
»Du bist schlecht gelaunt«, sagte sie.
»Ich bin seit zwanzig Scheißstunden auf den
Beinen. Ich haben den Chief im Nacken sitzen und muß mich mit der verdammten
Primadonna Weiss rumschlagen. Und der Scheißbürgermeister, der Forderungen
stellt. Da kannst du darauf wetten, daß ich schlechte Laune habe.« Er setzte
sich auf die Bettkante und zog die Schuhe aus. »Rutsch rüber.«
Sie rollte auf seine Bettseite, und er legte
sich hin und reichte ihr die Hand. Er roch nach Zigaretten, Kaffee und Schweiß.
»Ich merke, daß du bei Weiss gewesen bist. Du riechst wie ein Aschenbecher.«
»Ich bin fix und fertig, und wir kommen nicht
weiter.«
»Hast du zu Abend gegessen?«
»Ein paar Scheiben Brot bei Weiss.« Er schloß die
Augen. Seine Wimpern waren dicht und seidig. Er öffnete ein Auge. »Hübscher
Anzug«, murmelte er und schloß es wieder. »Sexy.«
»Irgend was Neues in dem Fall?«
»Fehlanzeige. Nur Krümel. Nichts Handfestes.«
»Ich habe eine Theorie. Willst du sie hören?«
Er sah sie jetzt groß und türkis an. »Was bleibt
mir anderes übrig?«
Sie kitzelte ihn an den Rippen. »Ich könnte es
dem Chef direkt mitteilen. Er und ich, wir sind so.« Sie hielt zwei
Finger zusammen.
Er rollte sich ohne Vorwarnung auf sie und
preßte sie aufs Bett. »Ach ja? Spuck’s aus.«
»Okay. Denk mal über die Folgen nach.« Sie küßte
ihn auf den Kinnbart. »Tierisch.« Sie rieb ihren Fingernagel an den Stoppeln.
»Ich warte.«
»Also gut. Wenn Goldie nun nicht die Zielscheibe
gewesen wäre? Er saß beim Essen neben Ash. Sie litten beide an Asthma oder
einem Emphysem oder was immer. Es ging an diesem Tisch so hektisch zu. Alle
drängten sich um Goldie. Ich meine mich zu erinnern, daß ein Drink verschüttet
wurde. Goldie könnte das falsche Glas genommen haben...«
Silvestri rollte von ihr herunter. »Setz dich
auf, Les. Ich möchte das von Anfang an durchgehen. Du sagst, Ash war das Ziel
und Goldie war...«
»Ein Versehen — ein unglücklicher Zufall.«
»Erzähle mir noch mal, was du gesehen hast.«
»Alle drängten sich um den Tisch und redeten mit
Goldie, unmittelbar bevor er aufstand, um zu sprechen. Destry, Hoffritz,
Dougie, Neil, Ellie, Chris. Dr. Ash saß neben Goldie. Alle hatten sie Drinks.«
Sie schloß die Augen. »Chris stieß Goldies Drinks um, und Dr. Ash sprang auf,
um sich in Sicherheit zu bringen. Er bekam trotzdem ein bißchen was ab.
Irgendwer brachte einen neuen Drink.«
»Irgendwer?«
»Ich kann mich nicht erinnern, wer.«
»Ein Kellner?«
Sie dachte angestrengt nach. »Ich weiß nicht.
Die Drinks könnten verwechselt worden sein. Kannst du herauskriegen, ob Goldie
und Ash das gleiche tranken?«
»Ja.«
»Ja, du kannst es herauskriegen, oder ja, sie
tranken den gleichen Drink?«
»Ja, sie tranken den gleichen Drink — Jack
Daniel’s auf Sulfit.«
»Weißt du was, Silvestri, du hast einen makabren
Sinn für Humor.«
»Interessante Theorie, Les. Es würde bedeuten,
jemand wollte Ash um jeden Preis aus dem Weg räumen, so daß er es ein zweites
Mal und mit derselben Methode versuchte.«
»Methodisch und phantasielos.«
»In Panik.« Er stand auf und begann sich
auszuziehen. »Ich muß unter die Dusche.« In der Tür blieb er stehen. »Ach,
übrigens habe ich
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