Tödliche Panne: Ein Las-Vegas-Krimi
hinterer Zaun. »Oh. Dort hinten im Flussbett, im Gebüsch. Hier im Boot wird’s stickig, wenn die Plane drüber liegt. In letzter Zeit war’s ziemlich warm. Außerdem schlaf ich ungern jede Nacht am selben Ort. Im Flussbett gefällt’s mir – da hat man seine Ruhe. Man muss nur viel Lärm machen, damit man nicht auf ’ne Klapperschlange tritt. Man trampelt einfach ein bisschen herum und sie hauen ab.«
»Schlafen Sie dort allein?«
»Nein, meistens leistet Cher mir Gesellschaft, wenn sie nicht gerade ’ne Show macht.«
»Sonst noch jemand außer Cher?« Snow musste leicht grinsen. »Sind da nachts noch andere Tramps oder Obdachlose in dem Flussbett?«
»Ich hab keine gesehen. Die meisten Obdachlosen bleiben näher am Zentrum, damit sie’s nicht so weit bis zur Suppenküche haben.«
»Suppenküche?«
»Na ja, die Heilsarmee.«
»Wie lange sind Sie schon hier in Las Vegas?«
Willie blickte in den Himmel. »Mal sehen. Ich würde sagen, ein bisschen über ’n Monat. Im Sommer war ich in der Bay Area, San Francisco, San Jose, die Gegend. Die ideale Zeit, um dort oben Urlaub zu machen. Im Winter bin ich dann meistens hier oder in Arizona. Hab mich an das Nomadendasein gewöhnt.«
»Wie sind Sie hierher gekommen?«
»Auf ’nem Güterzug.« Willie starrte Snow ins Gesicht. »Sind Sie wirklich kein Bulle? Sie machen auf jeden Fall den Eindruck.«
Snow nickte. »Ich war mal bei der Polizei. Jetzt nicht mehr.«
»Warum haben Sie aufgehört? Haben Sie jemanden erschossen und jetzt plagt Sie ein schlechtes Gewissen? Oder hat man Sie rausgeschmissen?«
»Nein, ich hab nie jemanden erschossen. Ich wollte nur einfach mal was anderes machen.«
»Was denn?«
»Poker spielen. Texas Hold ’em.«
Willie zog die Augenbrauen hoch und nickte. »Nicht schlecht. Und, läuft’s gut?«
»Überhaupt nicht.«
Willie griff sich an den Bart und kraulte ihn mit den Fingerspitzen. »Das ist das Problem beim Glücksspiel«, sagte er.»Es ist wie eine schöne Frau: Am Anfang ist sie toll und dann legt sie dich rein und zockt dich nach Strich und Faden ab.« Er hörte auf, sich den Bart zu kraulen, und verschränkte die Arme. »Warum wollen Sie wissen, ob ich gestern Nacht hier war? Ist was passiert?«
Snow erzählte ihm von dem Mord und der Möglichkeit, dass der Täter eine Spitzhacke benutzt hatte.
»Sie haben nicht zufällig eine Spitzhacke bei sich, oder, Willie?«
Er schüttelte den Kopf. »Hab noch nie ’nen Tramp gesehen, der mit ’ner Spitzhacke unterwegs ist. Wär ja auch verdammt schwer, auf ’nen Güterzug aufzuspringen, wenn einem so ’n Ding aus dem Rucksack herausragt.« Er hielt inne. »Aber wenn Sie kein Bulle mehr sind, warum stochern Sie dann in diesem Mordfall herum?«
»Das Opfer war mein Schwager.«
Snow erzählte ihm von seiner Schwester, dem Geld, das sie von der Versicherung bekommen würde, und ihren früheren Ehen. Dann kam er auf den Zaun zu sprechen. Er fragte Willie, ob er derjenige war, der den Zaun an der Ecke beschädigt und dann mit Gummizügen zusammengehalten hatte.
»Darüber sag ich nichts«, sagte Willie. »Ich geb nie eine Sache zu, bei der ich nicht erwischt wurde.«
»Hat man Sie schon mal bei irgendwas erwischt? Bei was Illegalem?«, fragte Snow.
»Ich hab keinen einzigen Eintrag im Vorstrafenregister«, erwiderte Willie. »Da können Sie nachschauen. Aber jetzt will ich Sie mal was fragen – wollen Sie mich verpfeifen, weil ich in dem Boot gepennt hab?«
»Nur, wenn ich eine Spitzhacke darin finde«, sagte Snow.
11
Sonntagmorgen, sechs Uhr.
Wenn er nicht Poker spielte, versuchte Snow in der Regel, vor sechs Uhr aufzustehen. Pokernächte waren etwas anderes. Auf dem Strip in Las Vegas war die beste Zeit, Poker zu spielen, von acht Uhr abends bis vier Uhr morgens, und zwar freitags, samstags und an Feiertagen. Zu diesen Zeiten waren die feiernden Touristen leichte Beute.
Snow knipste die Lampe auf dem Nachttisch an, atmete tief durch und stieg aus dem Bett. Er strich die Decke zurecht, gerade genug, dass sie nicht allzu zerknittert aussah, und ging quer durchs Zimmer zu dem kleinen begehbaren Wandschrank. Er machte das Licht an, blieb im Türrahmen stehen und musterte die zwei Regale, die mit Laufschuhen vollgestellt waren, eins auf jeder Schrankseite. Insgesamt vierundzwanzig Paar Schuhe. Links die Neutral- und rechts die Stabilschuhe. Was seinen Laufstil, Pronationswinkel (die Art, wie man die Füße auf dem Boden aufsetzt und abrollt) und die Frage betraf, wie
Weitere Kostenlose Bücher