Tödliche Pralinen
„Tatsache ist: Mein Mandant
hat dieses Haus gestern abend verlassen. Er ist nicht hier. Und um dieses
Gespräch, das so gar nicht zu meinem Frühstück paßt, endlich zu beenden, möchte
ich Ihnen mitteilen, daß es nicht meine Pflicht ist, die Polizei über die
jeweiligen Aufenthaltsorte meiner Mandanten auf dem laufenden zu halten.“
„Dann muß ich leider den Eindruck gewinnen, daß
Sie mich verarschen wollen“, folgerte Faroux.
„Das dürfte auch das einzige sein, was Sie hier
gewonnen haben“, konterte der Anwalt ungerührt.
Inspektor Faroux tat einen raschen Schritt auf
den Mann mit dem Solitär zu und legte ihm eine Hand auf die mächtige Schulter.
„Sicher kann man das Haus auch auf anderem Wege
als durch die Eingangstür verlassen. Schade, daß ich keinen Durchsuchungsbefehl
mitgebracht habe.“
Jannet schüttelte mit einer schroffen Bewegung
die Hand des Inspektors ab. Der Kneifer auf seiner Nase blitzte.
„Den hätten Sie auch wohl kaum bekommen“, sagte
er verächtlich.
„Ich warne Sie, Jannet! Wenn ich beweisen kann,
daß Sie die polizeilichen Ermittlungen behindern...“
„Die polizeilichen Ermittlungen?“ Der Dicke
lachte amüsiert. „Wofür halten Sie mich? Tun sie gefälligst Ihre Arbeit und
spielen Sie nicht den Don Quijote! Auf Wiedersehen, Faroux... Salut ,
Burma.“ Er musterte mich kurz und eindringlich. „Möchte wissen, welche Rolle
Sie bei diesem Kasperletheater spielen... Immer am Rockzipfel des Inspektors!
Hätte Ihnen mehr zugetraut... Na ja“, schloß er achselzuckend, „einen guten
Tag, allerseits. Und nicht traurig sein, Inspektorchen! Tanneur wird sich schon
finden lassen.“
Chang, der Butler, brachte uns zur Tür. Auf
seinem ausgesprochen ausdruckslosen Gesicht lag ein verschlagenes Lächeln. Ein
Orientale aus dem Bilderbuch!
Florimond tobte. Ich ließ ihn toben und ging in ein
Restaurant, dessen Serviererinnen ehemalige Schönheitsköniginnen waren. Nachdem
ich mir den Magen mit Sauerkraut verdorben hatte, fuhr ich im Taxi zu Philippe
Blouvette-Targuy. Sein lustiger Name geisterte schon den ganzen Vormittag in
meinem Kopf herum. Ob es bei dem Medizinmann etwas zu lachen gab, mußte sich
allerdings erst noch herausstellen.
* * *
Die Avenue Jean-Jaurès, mitten in einem
Fabrikviertel gelegen, sah genauso dreckig aus wie alle Straßen in dieser
Gegend. Die hohen Schornsteine verteilten ihren Dreck gleichmäßig auf die
Nachbarschaft.
Die Nr. 125 gab sich die größte Mühe, relativ
sauber zu bleiben. Wie eine Villa im Exil wirkte das zweistöckige Haus zwischen
den Wohnblöcken der Arbeiter.
Die regelmäßigen neuen Außenanstriche mußten den
Besitzer ein Vermögen kosten. Doch es traf keinen Armen, nach der
Luxuslimousine zu urteilen, die vor der Tür stand.
Ich wollte schon läuten, als ich einen
wohlbekannten Pfiff hörte. Ich drehte mich um und erblickte Reboul, der ein
paar Schritte weiter Wache schob. Ich ging auf ihn zu.
„Wissen Sie’s schon?“ fragte er mich.
„Was denn?“
„René Galzat ist gerade da reingegangen.“
„Wirklich? Ja, muß mir denn der Kerl immer und
überall zwischen den Beinen rumrennen? Gehört der Schlitten ihm?“
„Nein, er ist mit dem Taxi gekommen. Der Wagen
stand schon vorher vor der Tür.“
„Was kann der verdammte Journalist hier wollen?“
murmelte ich.
„Keine Ahnung.“
Reboul berichtete mir von den Ergebnissen seiner
Beschattung. Im Grunde gab es jedoch nichts zu berichten. Ich trug ihm auf, die
Augen offenzuhalten, ging zurück zur Nr. 125 und läutete an der Haustür. Ein
reizendes Dienstmädchen öffnete und bat mich in einen klinisch sauberen Raum.
Ein junger Mann saß in einem der Sessel und schlug die Zeit tot, indem er in
medizinischen Fachzeitschriften blätterte. Eine elegante Erscheinung,
braungebrannt und hellgekleidet. Aus der Brusttasche seines Jacketts schaute
eine Batterie Füllfederhalter und Bleistifte heraus. Ich sprach ihn an.
„Sie sind René Galzat, nicht wahr?“ sagte ich
ihm auf den Kopf zu.
Verblüfft lächelte er mich an.
„Ja, stimmt. Woher wissen Sie das? Ich habe Sie
noch nie gesehen.“
Er zeigte mir eine hübsche, weiße Zahnreihe.
„Nein, gesehen haben Sie mich noch nie“,
entgegnete ich, „aber gehört haben Sie ganz bestimmt schon von mir... von dem
Mann, der das Geheimnis k. o. schlägt. Der einzige, der echte Dynamit-Burma!“
„Na so was! Nestor Burma, der berühmte Detektiv!
Sehr erfreut.“
Er stand auf und streckte mir seine
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