Toedliche Saturnalien
auffälligsten jedoch war die Tatsache, daß sich die Patrizierinnen sämtliche Härchen mit Ausnahme des Haupthaars entfernt hatten. Neben der ungebrochenen Animalität der bäuerlichen Hexen wirkten diese Circen von Rom wie Statuen aus poliertem parischen Marmor. Wenn ich nicht schon flach auf dem Boden gelegen hätte, wäre mein Kinn garantiert nach unten geklappt. Diese Frauen waren wie Angehörige verschiedener Gattungen, so unterschiedlich wie Pferde und Wild, vereint allein in ihrer Hingabe an diese orgiastische Feier. Wie hatte Ciodia mir erst am Vorabend gestanden? Ich übe religiöse Praktiken aus, die vom Staat nicht gutgeheißen werden.
Das war, gelinde gesagt, eine grobe Untertreibung.
Dennoch hatte ich keinen Anlaß, überrascht oder entsetzt zu sein. Auch die Staatsreligion war nichts anderes als eine öffentliche Kulthandlung, mittels derer man die Götter besänftigen und die Gemeinschaft durch kollektive Teilnahme festigen konnte. Überall auf der Welt gab es Religionen und geheime Kulte. Wenn wir angesichts einer Krise hin und wieder die Sibyllinischen Bücher konsultierten, rieten sie uns manchmal, einen fremden Gott samt Kult und Ritual zu importieren. Doch das konnte nur nach langwierigen Diskussionen unter den Pontifices geschehen, und eine degenerierte orientalische Gottheit war von vorn herein ausgeschlossen. In Rom wurden überdies zahlreiche fremde Religionen geduldet, solange sie schicklich blieben und keine verbotenen Opferhandlungen oder Verstümmelungen verlangten wie bei den männlichen Verehrern der Cybele, die sich in religiöser Ekstase selbst kastrierten und die abgetrennten Genitalien auf den Altar der Göttin warfen.
Nein, was mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte, war die Tatsache, daß es sich bei dieser ausgelassenen Feier nicht um irgendeinen exotischen Religionsimport von den aegaeischen Inseln oder dem Rand der bekannten Welt handelte, sondern um einen einheimischen Kult, der auf geheiligtem Boden einen Fußmarsch entfernt von Rom zelebriert Wurde und wahrscheinlich bereits seit Jahrhunderten exilierte. Hier war eine Religion, die so alt war wie die Anbetung Jupiters, in Jupiters ureigenem Land, und die überwältigende Mehrheit des römischen Volkes wußte nicht einmal von ihrer Existenz.
Und doch waren Patrizierinnen mit von der Partie, auch wenn das im Grunde nicht besonders überraschend war Wohlhabend, verwöhnt und verhätschelt, aber vom öffentlichen Leben und jeder sinnvollen Betätigung ausgeschlossen, langweilten sich die Damen in aller Regel und waren stets die ersten, die irgendwelche ausländischen religiösen Praktiken aufgriffen, die in Rom auftauchten. Und die drei, die ich erkannt hatte, gehörten genau zu der Art Frauen, die offen waren für jedweden fremden Kult, wenn er nur aufregend und degeneriert genug war.
Eine Frau löste sich aus dem Kreis der Tanzenden und stellte sich neben das Feuer, wo sie wiederholt etwas rief, bis die anderen ihren Tanz verlangsamten und schließlich stehenblieben. Die Klänge der Instrumente erstarben, und die Frau stimmte gebetsartig einen Gesang in einer Sprache an, die ich nicht verstand. Ihr Gesicht war durch ihre ekstatische Verzückung so verändert, daß ich sie nicht sofort erkannte Furias langes Haar war mit Weinblättern bedeckt, und von ihren Schultern flatterte das abgezogene Fell einer frisch geschlachteten Ziege. Das verspritzte Blut befleckte ihren Körper sowie mein Blut ihre Brust befleckt hatte. In einer Hand hielt sie einen Stab mit einer geschnitzten, sich windenden Schlange. Das eine Ende bestand aus einem Kiefernzapfen, das andere aus einem Phallus.
Jetzt erkannte ich auch, daß sie zwischen dem Feuer und einem mit Steinen markierten Ring stand. Dies mußte der Mundus sein, durch den die Hexen ihre unterweltlichen Götter anriefen.
Unter den Feiernden wurden Schalen herum gereicht; uralte Gefäße, mit Verzierungen versehen, die mir vage bekannt vorkamen. Dann fiel mir das Bronzetablett wieder ein, auf dem Furia ihre diversen prophetischen Objekte ausgebreitet hatte.
Die kühle Dezembernacht schien den wild dreinblickenden und heftig schwitzenden Gläubigen nichts aus zu machen. Und um welches Gebräu es sich auch handeln mochte, die patrizischen Damen schlürften es genauso gierig wie ihre Schwestern vom Lande.
Die Männer hielten sich abseits. Erst jetzt fiel mir auf, daß sie außer ihren grotesken Masken auch eng um den Unterleib gewickelte Lendenschurze trugen, als habe man
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