Tödliche Saturnalien
Bassus.
»Milo, ein Tribun!« rief ich.
»Er schwört, wenn Clodius dieses Amt bekleiden kann, kann er das auch«, erzählte glucksend ein Bankier, an dessen Hand der goldene Ring eines Eques blitzte. »Und warum auch nicht? Wenn diese miese kleine Ratte von einem Ex-Patrizier zum Tribun gewählt werden kann, wieso dann nicht ein ehrlicher, aufrechter Gauner wie Milo?«
Milo und Clodius unterhielten damals die beiden mächtigsten Banden Roms. Aber Clodius stammte aus einer uralten Adelsfamilie, die wie meine davon ausging, daß höhere Ämter ihnen qua Geburt zustanden. Doch auch Milo war zum Quaestor gewählt worden und war jetzt Senator, was auch schon schwer vorstellbar gewesen war. Aber Tribun? Ich mußte ihm unbedingt einen Besuch abstatten.
Genaugenommen hatte ich sogar eine ganze Reihe von Besuchen zu erledigen. Wenn ich eine Ermittlung durchführen sollte, mußte ich in Erfahrung bringen, wieviel Unterstützung und Hilfe ich in der Stadt erwarten konnte. Bedeutende Männer hielten sich häufig außerhalb Roms auf. Außerdem mußte ich herausfinden, wie es um meine Feinde bestellt war.
»Wie führt sich Clodius denn zur Zeit auf?« fragte ich und nahm auf dem Stuhl des Barbiers Platz.
»Für seine Verhältnisse fast respektabel«, antwortete der Bankier. »Er ist so glücklich, daß er in wenigen Wochen sein Amt antreten wird, daß er nur aufgeputzt durch die Stadt stolziert; seine Männer gehen Auseinandersetzungen mit Milos Leuten aus dem Weg, wenn sie sich nicht gerade in einer dunklen Gasse begegnen. Auch beide Konsuln des kommenden Jahres stehen auf seiner Seite. Ich habe gehört, Cicero würde schon packen.«
»Wer sind denn die Konsuln?« fragte ich. »Irgend jemand hat es mir geschrieben, aber ich habe es wieder vergessen.«
»Die vergißt man auch leicht«, sagte Bassus. »Piso Calpurnius und Aulus Gabinius. Clodius hat ihnen nach ihrer einjährigen Amtszeit fette Provinzen versprochen, also werden sie tun, was er sagt.« Es wurde immer deutlicher, daß es besser wäre, das kommende Jahr nicht in Rom zu verbringen.
»Clodius wird wohl nicht nur Tribun«, bemerkte ich. »Es klingt mir mehr nach unumschränkter Herrschaft.«
»Immerhin haben wir Ninnius Quadratus als Tribun durchgebracht«, sagte der Metzger. »Er haßt Clodius. Auch Terentius Culleo hat gewonnen, und er ist angeblich ein Freund Ciceros. Aber sie werden nicht viel ausrichten können. Clodius’ Bande hat die Straßen der meisten Stadtviertel im Griff, außerdem kontrolliert sie die Via Sacra und damit das Forum.« Alle waren sich einig, daß er damit einen ungerechten und kaum zu schlagenden Vorteil hatte.
Wenn all das verwirrend klingt, liegt das daran, daß es in Rom jener Tage zwei Arten von Politik gab. Die großen Männer wie Caesar, Pompeius und Crassus wollten die ganze Welt beherrschen, was bedeutete, daß sie einen Großteil ihrer Zeit außerhalb Roms verbringen mußten. Doch in Rom wurden die Wahlen abgehalten, die jedermanns Rang und Zukunft bestimmten. Zahlreiche Gemeinden hatten das römische Bürgerrecht, aber wenn sie an den Wahlen teilnehmen wollten, mußten sie nach Rom reisen, um abzustimmen, so daß das Wahlrecht praktisch ein Monopol der Stadtbevölkerung geblieben war.
Deshalb gab es Männer wie Clodius und Milo. Sie kämpften um die Alleinherrschaft in der Stadt. Jeder der großen Männer brauchte Vertreter, die die Wahlen, wenn nötig mit Gewalt, beeinflussen und sich um ihre Interessen kümmern konnten, während sie im Ausland weilten. Die politischen Verhältnisse in den Stadtvierteln waren so kompliziert wie die im Senat und im ganzen Imperium. Denn die Banden von Clodius und Milo waren beileibe nicht die einzigen, sondern lediglich die mächtigsten und zahlenmäßig stärksten. Es gab Dutzende andere, die innerhalb eines komplizierten Geflechts wechselnder Allianzen operierten.
Und das Ganze wurde noch verwirrender durch die Tatsache, daß Rom im Gegensatz zu Athen nicht eine einzige Stadt, sondern vielmehr eine Zusammenballung verschiedener Dörfer innerhalb einer Stadtmauer war. In grauer Vorzeit waren es tatsächlich einmal sieben Dörfer auf sieben Hügeln gewesen. Die Dörfer wuchsen die Hügel hinab, bis sie miteinander verschmolzen. Damals war das Forum der gemeinsame Markt- und Weideplatz. Deswegen steht die altehrwürdige Hütte des Romulus nicht, wie man meinen sollte, in der Nähe des Forums oder auf dem Capitol, sondern vielmehr inmitten diverser anderer heiliger Stätten am Fuße des
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