Tödliche Saturnalien
herumliefen?
»Cicero hat mir eines der grundlegenden Prinzipien des Strafrechts dargelegt«, dozierte ich, »eine Frage, die im Fall eines außergewöhnlichen Vergehens jeder Ermittler sich selbst und jeder Ankläger den Geschworenen stellen muß: Cui bono? Zu wessen Nutzen?«
»Du hast ja bereits darauf hingewiesen, daß Celer ein Mann mit Feinden war«, entgegnete Asklepiodes.
»Mit neidischen Feinden, deren lautester und schrillster der Tribun Flavius war.«
»Ihre öffentlichen Dispute waren im vergangenen Jahr das Stadtgespräch Roms«, erinnerte sich Asklepiodes. »Doch in der römischen Politik geht es fast immer laut zu, und ich habe überdies den Eindruck, daß Flavius seine Ziele durchsetzen konnte, ohne auf Gift zurückgreifen zu müssen.«
»Nicht unbedingt«, wandte ich ein. »An dem Tag, an dem er zusammengebrochen ist, war Celer unterwegs zum Gericht, um seinen gallischen Statthalterposten wieder einzuklagen. Flavius hätte immer noch verlieren können.«
»Aber damals war Flavius doch schon nicht mehr im Amt«, wandte Asklepiodes ein.
»Als Tribun nicht mehr«, sagte ich. »Aber er wollte im folgenden Jahr für das Amt des Praetors kandidieren, und es hätte nicht gut ausgesehen, wenn sein Coup gegen Celer ein Fehlschlag gewesen wäre. Außerdem ging dieser Konflikt weit über das übliche politische Gezerre hinaus. Es kam zu persönlichen Beleidigungen und offener Gewalt. Vielleicht spielt Rache eine Rolle.«
»Das klingt recht schlüssig«, gab Asklepiodes zu. »Aber woher hätte er wissen sollen, daß Celer sich bei Ariston in Behandlung begeben hatte?«
So gebildet Asklepiodes auch war, logische Schlußfolgerungen waren nicht seine Stärke, was wahrscheinlich daran lag, daß er seine ganze Weisheit von irgendwelchen toten Griechen hatte.
»Ariston hat es ihm erzählt«, sagte ich. »Du hast doch gehört, wie Narcissus gesagt hat, das Medikament wäre fast geschmacklos gewesen.«
»Diese Bemerkung hat mich auch sehr verwundert, und sie ist wohl kaum in Einklang zu bringen mit dem, was diese Ascylta gesagt hat.«
»Weil Celer bei seinem ersten Besuch ein ganz legales Mittel erhalten hat, zumindest kein schädliches«, sagte ich. »Nachdem Ariston jedoch die darin liegenden Möglichkeiten erkannt hatte, hat er sich jemanden gesucht, der seine Dienste benötigte, wobei in Celers Fall bestimmt kein Mangel an potentiellen Kunden herrschte.«
»Das wäre extrem kaltblütig«, meinte Asklepiodes.
»Ich vermute sogar, daß es nicht das erste Mal war«, fuhr ich fort. »Er wußte genau, wo er das benötigte Gift bekommen würde. Möglicherweise war er ein Stammkunde Harmodias. Es wäre interessant, einen Blick auf die Liste von Aristons Patienten zu werfen. Wer wäre in einer besseren Position, den Übergang in das Reich der Schatten zu beschleunigen, als der behandelnde Arzt?«
»Darin bildet er bestimmt eine extreme Ausnahme«, murmelte Asklepiodes.
»Daran hege ich nicht den geringsten Zweifel. Trotzdem werde ich in Zukunft bei der Wahl meines Arztes sehr vorsichtig sein, wobei ich natürlich in der mehr als glücklichen Lage bin, jemanden wie dich zu meinen Freunden zu zählen, der mich im Bedarfsfall wieder zusammenflicken kann, wenn ich gerade in Rom bin.«
»Wirst du diesmal länger bleiben?« fragte er.
»Nein, jeder möchte, daß ich so lange verschwinde, wie Clodius amtierender Tribun ist. Mein Vater will mich mit Caesar nach Gallien verschicken.« Unwillkürlich lief mir ein Schauer über den Rücken. »Das muß ich irgendwie verhindern.«
»Wenn ich mir die Kühnheit erlauben darf, möchte ich darauf hinweisen, daß im Laufe meiner Karriere als praktizierender Arzt immer wieder Männer zu mir gekommen sind, die meine Dienste zur Umgehung eines besonders gefahrvollen Militärdienstes in Anspruch genommen haben. Üblicherweise amputiert man den Daumen der rechten Hand und gibt vor, daß es ein Unfall gewesen sei. Ich habe mit dieser Operation einige Erfahrung, wenn du …«
»Asklepiodes!« rief ich. »Das ist zutiefst unmoralisch!«
»Ist das ein Problem für dich?«
»Nein«, erwiderte ich, »ich würde nur gern meinen Daumen behalten.« Ich hielt jenes einzigartige Körperteil in die Luft und bewegte es. »Er ist ziemlich praktisch, weißt du. Perfekt, um einem Gegner bei einer Prügelei damit ins Auge zu stechen. Ohne ihn würde ich mir unvollständig vorkommen. Außerdem würde mir niemand glauben, daß es ein Unfall war. Man würde mir Feigheit vorwerfen und mich von
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