Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
über diesen verrückten Einfall, aber Alex war es ernst. Eine halbe Stunde
später hatte er sich bereits bei einem Transportunternehmen telefonisch erkundigt,
was es kosten würde, einen Bagger zum Weiher kommen zu lassen. Noch am gleichen
Tag kämpfte sich das gelbe Ungeheuer den steilen Waldweg herauf und machte einen
derartigen Lärm, dass die Feriengäste der beiden Gasthöfe am Weiher die Ankunft
erstaunt oder verärgert über die Ruhestörung mitverfolgten.
Der Baggerführer,
ein deutschsprachiger Südtiroler, rieb sich den Schweiß von der Stirn und schüttelte
den Kopf über den hirnverbrannten Plan des jungen Geologen. Da er aber für seine
Arbeit bezahlt wurde, begann er unverzüglich damit. Die Riesenzähne der Maschine
fraßen sich heulend und mit ungeheurer Kraft in den zähen Bergboden. Alex und Eva
und einige Touristen standen dabei und schauten fasziniert zu. Auch der Wirt der
»Waldruh« kam vorbei und beklagte sich zuerst über den Lärm, der seine Gäste verscheuche,
blieb dann jedoch eine Weile interessiert stehen – einen Bagger hatte man da oben
noch nie gesehen.
Die Nachricht,
es werde ein künstlicher Wassergraben am Völser Weiher gemacht, verbreitete sich
rasch. Die Südtiroler begriffen den »Doktor« nicht, hatten ihn allerdings schon
immer für ein bisschen verrückt gehalten. Als er mit einem weiteren Plan aufkreuzte,
nämlich die Straße durch den Wald verbreitern zu lassen – der Bagger sei ohnehin
zur Stelle, meinte er – und einen finanziellen Anteil der Bauern verlangte, denen
der Wald gehörte, stieß er auf erbitterten Widerstand. Hartnäckig versuchte Alex,
den reichen Obmann der Bäuertgemeinde in Völs davon zu überzeugen, die Straße müsse
früher oder später ja doch ausgebaut werden. Ebenso hartnäckig und traditionsbewusst
lehnte dieser ab. Eva hatte es längst aufgegeben, Alex die Idee auszureden. Er presste
wie immer, wenn ihn etwas ärgerte, die schmalen Lippen zusammen, hörte auf niemanden,
blieb stur.
Mit derselben
Hartnäckigkeit hatte im Spätmittelalter Oswald von Wolkenstein die Burg Hauenstein
verteidigt und sich über alle Rechte hinweggesetzt.
Auch mit den Nachbarn, die auf der
andern Seite des Zauns ein Ferienhaus besaßen, kam es zu Streit. Sie behaupteten
plötzlich und ohne Grund – seit Jahren hatte sich niemand um Grenzen gekümmert –,
der Zaun um das Grundstück von Alex reiche zwei Meter in ihr eigenes Gebiet. Mit
zornrotem Gesicht erschien eines Tages der Herr des Hauses, ein Wiener, und forderte
Alex ultimativ auf, den Zaun zu ändern, aber dieser beharrte auf seinen eigenen
Messungen.
Ein eingeschriebener
Brief des Wieners folgte und nützte nichts, im Gegenteil. Der Bagger war Tag für
Tag einige Stunden im Einsatz, und das Riesenloch wuchs und erreichte beinahe schon
den unteren Zaun des Wieners, der mit einem Prozess drohte und einen Geometer aus
Bozen beizog. Alex musste sich wohl oder übel zu einer Aussprache mit dem Nachbarn
treffen. Er wurde samt Eva vom Wiener Ehepaar mit kaltem Lächeln und einem kläffenden
Hund empfangen.
Alex begann
geschickt, mit dem einheimischen Geometer zu fachsimpeln, um diesen auf seine Seite
zu ziehen, und gewann die Schlacht.
Selbst die Berge blieben eine Zeitlang
Nebensache. Alex wollte die Arbeiten am Weiher persönlich überwachen, er traute
niemandem.
Eines Nachmittags,
als der Bagger aufheulte und einmal mehr die Stille am Weiher störte, sah Eva durch
die Waldlichtung drei Gestalten auf die Hütte zukommen, die ihr schon von weitem
bekannt vorkamen: ihre Eltern und ihr Bruder! Sie hatten erstaunlicherweise den
Weg hier herauf gefunden.
»Was habt
ihr denn mit dem Bagger und diesem Graben vor?«, fragte Vater nach der Begrüßung.
Alex erklärte
stolz, er wolle eine unterirdische Garage bauen lassen, dazu einen Bunker, jedenfalls
einen Keller, vielleicht auch einen Lift … Das waren selbst für Eva ganz neue Pläne,
die er offenbar in den letzten Tagen ausgebrütet hatte.
Sie unterbrach
ihn. »Zuerst brauchen wir unbedingt eine Kochmöglichkeit und eine Dusche und zuallererst
eine Wasserleitung. Alex will in den nächsten Tagen in die Hütte umziehen und hier
leben. Dank dem Graben werden wir zwar völlig ungestört sein, nur leider nach wie
vor kein Wasser haben.«
Alle – außer
ihr, die sich von den Eltern Verständnis und moralische Unterstützung erhofft hatte
– lachten über die Ideen von Alex. Dass sie selbst öfters auch verrückte Einfälle
haben konnte und diese
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