Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
Alex. »Ich schlafe
schlecht, und morgens wecken mich die Kinder schon früh.«
»Alex, vergiss
nicht, hier hast du ein sauberes, bequemes Bett, eine Dusche, ein kräftiges Frühstück.
Oben am Weiher können wir uns nicht richtig waschen und alles ist staubig.«
»Meinst
du, ich hätte mich in der Wüste duschen können?«, brauste er auf. »Ich gewöhne mich
zu sehr an Hygiene und Komfort und habe später Mühe, wieder ohne Wasser auszukommen.
Wenn du es ohne Wasser und Badezimmer nicht aushältst, dann nimm irgendwo ein günstiges
Zimmer, vielleicht oben im Gasthof am Völser Weiher. Ich könnte dich regelmäßig
besuchen und ab und zu bei dir eine Dusche nehmen.«
»Alex, ist
das ein ernst gemeinter Vorschlag?«, fragte sie verletzt. »Willst du damit sagen,
du wärst lieber allein? Störe ich dich? Gehe ich dir auf die Nerven? Langweilst
du dich mit mir?«
»Nein, natürlich
nicht«, wehrte er ab, »aber ich kann dich nicht zwingen, in meiner Hütte oben zu
wohnen, ohne fließendes Wasser und WC. Für eine Frau ist dies wahrscheinlich unzumutbar.
Nur ich … ich halte es hier nicht mehr aus. Ich kann einfach nicht mehr.« Er hielt
die Hände vors Gesicht und stöhnte, als hätte er Schmerzen.
»Wenn du
meinst, du könntest dich nur oben am Weiher erholen, komme ich selbstverständlich
mit dir. Ich kann gut ohne Badezimmer leben. Die Hauptsache ist, dass es dir besser
geht und du dich wohl fühlst«, sagte Eva.
Und damit
begann der spartanische Dolomitensommer in der Hütte.
Eine Stunde später konnte Alex immer
noch nicht schlafen, wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Er klagte
erneut über Schmerzen in der Magengegend – und fand auf einmal, er müsse dringend
einen Arzt aufsuchen.
»Unten ist
ein Telefon. Soll ich anrufen und ihn kommen lassen?«, fragte Eva erschrocken. Sie
machte sich nun ernsthaft Sorgen um ihren Freund.
»Nein, nicht
nötig, ich fahre zu ihm. Ich kenne den Arzt hier gut, ich weiß, wo er wohnt. Er
ist ein alter Freund von mir, und er freut sich vermutlich sogar, mich wieder einmal
zu sehen.«
»Ich begleite
dich.«
Gegen elf
Uhr nachts fuhren sie mit dem Auto ins Nachbardorf. Ein heftiges Gewitter war im
Anzug, die schwüle Luft schien wie elektrisch geladen, die ersten Blitze zuckten
gespenstisch über die Felswände des Schlern.
Alex stöhnte
und sagte kein Wort mehr. Eva sah ihn besorgt an. Bedeutete das nun schon das Ende
ihrer Kletterferien? Vermutlich würde ihm der Arzt Ruhe, Schonkost oder Diät empfehlen
oder gar einen Kuraufenthalt in der Ebene verschreiben.
Als sie
die ersten Häuser von Seis erreichten, begann es heftig zu regnen. Anstatt weiterzufahren,
parkte Alex den Wagen vor einem Wirtshaus.
»Schnell,
komm, bevor wir nass werden!«, rief er, und sie liefen die Eingangstreppe hinauf.
Am Stammtisch
entdeckte Alex Bekannte, ein Paar aus Bozen, zu denen sie sich setzten. Der Mann,
Werner, wurde Eva als weit herum bekannter Kletterer und Gletscherflieger vorgestellt.
Er war in Begleitung seiner Freundin Clarissa, und die drei begannen über Evas Kopf
hinweg zu fachsimpeln.
Benagelung.
Abseiltechniken. Nachschubschnur, Expansionshaken. Prusikknoten. Progressionshaken.
Schultersicherung. Die klassischen Kanten am Zweiten Turm der Sellagruppe. Die Comici-Dimai-Führe
an der Großen Zinne-Nordwand …
Mitreden
konnte sie jedenfalls nicht.
Werner ergriff
plötzlich ihre Hände, drehte sie und stellte fest: »Die ersten Schwielen vom Klettern
fehlen zwar noch, aber Alex hat Sie bestimmt längst mit seiner Leidenschaft angesteckt.
Stimmt’s? Sie haben kleine, kräftige Hände, gut zum Kraxeln. Es wird nicht lange
dauern, und keine Spitze in den Dolomiten wird mehr vor Ihnen sicher sein. Es gibt
ja genug Vorbilder«, lachte er.
»Was für
Vorbilder? Wie meinen Sie das?«
»Ach, ich
denke da an die berühmten Bergsteigerehepaare, an Gino und Silvia Buscaini zum Beispiel,
an Michel und Yvette Vaucher oder an Rudi und Helga Lindner. Auch die Frauen dieser
Kletterergrößen sind erfahrene Sestogradistinnen.«
»Ich weiß
nicht einmal genau, was der Sechste Grad ist«, gab sie zu. »Und so viel Ehrgeiz
habe ich nicht. Vorerst bin ich eher ein Hemmschuh für Alex, eine blutige Anfängerin,
die ihm nur mit Müh und Not nachfolgt.«
»Passen
Sie auf, bei Alex geht das schnell. Bevor Sie dazukommen, nachzudenken, was er mit
Ihnen vorhat, hat er Sie auf die Marmolata hinaufgeschleppt. Liebe kann bekanntlich
Berge versetzen – und dann sieht man die
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