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Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)

Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)

Titel: Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Traber
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schwierigere Punta Emma zu klettern
– warum sollte nicht auch sie den harmlosen Kesselkogel bezwingen.
    Die Eltern
blieben in der Hütte zurück, und der steile Aufstieg zu dritt, zuerst über Schutt
und Geröll, begann.
    Eva sah
bald nichts mehr außer Stein, Griffe und Spalten, Tritte, Kanten und Felszacken.
Nur selten wagte sie einen raschen Blick tief hinunter auf das Zickzack des Pfades
oder hinüber auf die Nachbargipfel. Alex stieg sicher und rasch voran, und Matthias
war ihr immer dicht auf den Fersen. Sie spürte zum ersten Mal, wie nackt und elementar
Fels ist, sonnenwarm und hilfreich als Halt für Hände und Füße und dann wieder,
an Schattenplätzen, heimtückisch feucht und glitschig und oft porös.
    Bald folgte
ein waagrechter Grat, der absolute Trittsicherheit erforderte. Alex sicherte nun
seine Begleiter am Seil.
    Noch ein
paar vorsichtige Schritte zwischen zwei Abgründen – und das Trio erreichte in wenigen
Minuten den angestrebten Gipfel. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl, oben zu stehen!
Sie hatten es geschafft.
    Die Aussicht auf die Brenta-, Adamello- und Ortlergruppe,
die Stubaier und Zillertaler Alpen war atemberaubend. Alex kannte die Gipfel und
zeigte sie seiner Seilschaft.
    In der Nähe
waren die Rosengartenspitze und die Vajolett-Türme, die Geisler- und Puezgruppe,
der Langkofel, die Sellagruppe und die Marmolata sichtbar, im Hintergrund der Antelao,
der zweithöchste Berg der Dolomiten, und die Civetta.
    Nach einer kurzen Rast begann bereits der Abstieg auf demselben Weg.
Erst beim Hinuntersteigen wurde Eva bewusst, wie hoch und steil sie geklettert waren.
Sie glaubte, die Schwierigkeiten längst überwunden zu haben und wurde vor lauter
Übermut etwas nachlässig, eine Spur unkonzentriert, entspannte sich. Ich bin doch
eine Oberländerin, dachte sie, die Berge sind mir nicht fremd, ich werde es schaffen,
diesen Sommer mit Alex Schritt zu halten.
    Zum ersten Mal musste sie nun einen ziemlich breiten Kamin durchsteigen,
ohne auf die technische Schwierigkeit vorbereitet zu sein. Wie ging das? Sie versuchte,
es Alex nachzumachen, obwohl ihre Beine viel kürzer waren als seine. Ein Fuß und
eine Hand an die linke, der andere Fuß und die andere Hand an die rechte Wand des
Kamins gespreizt, versetzte sie im Wechsel Füße und Hände den Wänden entlang und
gelangte so nach und nach hinunter.
    Nun folgte eine steile Schneefläche, die zu überqueren war. Eva musste
einen unvorsichtigen Schritt getan haben – und rutschte plötzlich aus, verlor das
Gleichgewicht und flog nur so über den Schnee in die Tiefe. In panischer Angst suchte
sie einen Halt, aber es gab nichts außer einer weißen Fläche und Geröll. Es ging
alles unheimlich schnell. Sie spürte, wie sie abrutschte, immer schneller und schneller,
mit unheimlicher, zunehmender Geschwindigkeit. Alles drehte sich in ihrem Kopf,
ihr Herz raste, und sie wusste plötzlich ganz klar: Ich falle in die Tiefe, kann
nicht stoppen, mich nirgends halten. Weiter unten stürze ich in den Abgrund. Es
ist vorbei. Aus für immer. Es gibt keine Rettung. Ich werde mit furchtbarem Tempo
auf die harten Felsen prallen, alle Glieder brechen, den Kopf aufschlagen, bewusstlos
werden. Das ist das Ende, ich werde sterben! Jetzt!
    Alex schrie ihr etwas zu, und vielleicht schrie auch sie, doch sie
merkte es nicht. Sie wurde auf einmal innerlich völlig ruhig, wie erstarrt, ergab
sich ins Unabänderliche, rutschte mit wahnsinnigem Tempo weiter und weiter hinunter,
hatte die Kontrolle über ihren Körper verloren … Sekundenbruchteile später erblickte
sie vor sich einen großen Felsvorsprung, auf den sie geradeswegs zuschlitterte,
und es gelang ihr, sich mit beiden Armen daran festzuklammern, sodass ihr Sturz
aufgehalten wurde. Im allerletzten Moment, bevor …
    Es ging alles so unbegreiflich schnell, dass es ihr später nicht möglich
gewesen wäre zu beschreiben, was sie bei diesem rasenden Sturz in den Abgrund gedacht
oder gefühlt hatte. Ein Moment des absoluten Nichts – zwischen Leben und Tod schwebend?
In Sekundenbruchteilen oder noch rascher rollte ihr bisheriges Leben wie ein Film
vor ihren Augen ab …
    Sie tat später, als wäre nichts Erwähnenswertes, nichts Schlimmes geschehen,
obwohl ihre Knie von der Anstrengung und vom Schock noch lange zitterten.
    Alex redete
ihr eindringlich ins Gewissen.
    »Du darfst
keinen Moment unaufmerksam sein auf einer Tour. Man kann nie vorsichtig genug sein,
auch beim Abstieg nicht. Du hast dich zu sicher

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