Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
Thema,
das trotz Emanzipation auch 50 Jahre später nicht abgehakt werden kann. Immer noch
nicht. Im Gegenteil, es scheint, als gäben junge Frauen all das, was ihre Mütter
und Großmütter an Unabhängigkeit und Freiheit sich mühsam erobert hatten, leichtsinnig
wieder auf – und merkten es kaum.
Immerhin
dachte Eva in jenem Sommer nicht daran, Mutter zu werden. Mit Alex Kinder haben?
Kein Gedanke daran. Mit ihm auf einer Tour Schritt zu halten war schwierig genug.
Dass dann auf einmal eine Rivalin
auftauchte!
Fast jeden
Tag trafen neue Bekannte und Freunde aus Rom in Seis und Kastelruth ein. Alex kannte
sie seit Jahren, viele noch aus der Kindheit. Sie flüchteten im Sommer alle vor
der unerträglichen Hitze Roms in die Dolomiten, und die meisten besaßen hier in
der Gegend ein Chalet oder zumindest eine luxuriöse Ferienwohnung.
Die famiglia Manzoni, eine Bankiersfamilie mit Söhnen, Töchtern und Enkelkindern bewohnte im
Sommer und Herbst eine große, schöne Villa am Waldrand. Eva mochte besonders Francesco,
einen der Manzoni-Söhne, Alex’ Jugendfreund, der hier mit seiner Frau Graziella
und zwei Kindern die Ferien verbrachte. Später kam auch noch Ada, die älteste Bankierstochter,
mit ihren Kindern und ihrem Mann nach Seis hinauf.
Ada, klein,
mollig, schwarzhaarig, mit einer dunklen, stets etwas heiser klingenden Stimme,
sehr sportlich, immer vergnügt, war eine sympathische, temperamentvolle Frau. Aus
ihr konnte man keine vornehme Dame machen, sie war viel zu spontan und zu natürlich
und sagte offen ihre Meinung. Allerdings fragte Eva sich bald einmal, ob sie glücklich
war in ihrer Ehe. Enrico, ihr Mann, einige Jahre älter als sie, ein erfolgreicher,
vom guten Essen und Trinken etwas zu beleibter Italiener mit schon stark gelichtetem
Haar, fuhr ab und zu nur für zwei, drei Tage aus Rom nach Südtirol. Er verbrachte
dann die meiste Zeit mit Freunden in Restaurants und Bars. Die Berge langweilten
ihn, er hätte es vorgezogen, die Urlaubstage am Meer zu verbringen. Um Ada und die
Kinder kümmerte er sich wenig. Wahrscheinlich war es eine arrangierte Heirat gewesen.
Geld zu Geld.
Enrico und
Ada bewohnten eine Villa in der Nähe von Rom, hatten ein Dienstmädchen und eine
Köchin, und die Kinder wurden von der Mutter morgens mit dem Auto in eine Privatschule
gebracht und abends wieder abgeholt.
Alex erzählte,
Ada sei es vor Jahren ein einziges Mal gelungen, Enrico zu einer Klettertour zu
überreden. Sie selbst sei eine begeisterte, erfahrene Alpinistin. Als man sich dann
an einer kritischen Stelle habe anseilen müssen und vom Grat aus in den Abgrund
gesehen habe, habe Enrico Panik bekommen. »Es war seine erste und letzte Tour, er
ist nie mehr mitgekommen«, lachte Alex etwas hämisch. »Wenn er seine Familie in
den Dolomiten besucht, beschränkt er sich auf Tennis und Reiten.«
Alex machte
sich einen Spaß daraus, das Gespräch jedes Mal aufs Thema Klettern zu bringen, wenn
Enrico auftauchte, und ihn vor jeder Tour aufzufordern, unbedingt mitzukommen. Auch
Ada neckte er oft, wenn sie genau wissen wollte, welchen Schwierigkeitsgrad er dieser
oder jener Tour zuschrieb. »Wirst du nun doch ängstlich, eine typische Mama? Hat
Enrico dich angesteckt mit seiner Bergphobie?«
Eines Tages hatte Ada Lust, Ski
zu laufen. Es wurde beschlossen, einen Ausflug aufs Stilfserjoch, den höchsten italienischen
Gebirgspass, zu machen, wo man auch im Sommer auf dem Ebenferner unterhalb der Geisterspitze
Ski fahren kann. Alex stellte sich sofort als Chauffeur und Reiseleiter zur Verfügung.
Der alte Manzoni, Ada und ein älterer Freund der Familie fuhren mit. Oben auf dem
Joch angekommen, staunte Eva. Tatsächlich, es gab mehrere Skilifte, unzählige Touristen
und auf dieser Höhe vor allem genügend Schnee, sogar jetzt im Juli. Sie hatte sich
auf den Ausflug gefreut. Jetzt stellte sie fest, dass Alex und Ada ihre Skiausrüstung
bei sich hatten, während sie versuchten musste, eine solche für einen halben Tag
zu mieten.
»Komm, fahren
wir gleich los!«, forderte Ada Alex auf.
Eva stand
daneben, ohne Skier, und versuchte, ihre Enttäuschung und ihren Unmut hinunterzuschlucken.
Trotzdem fragte Alex leicht vorwurfsvoll:
»Was machst
du für ein Gesicht?«
Übermütig
und gutgelaunt schnallte er seine Bretter an und kurvte forsch und schwungvoll zum
Lift hinunter. Ada folgte ihm, noch etwas unsicher, nach. Unten angekommen, winkten
sie mit den Skistöcken.
Eva blieb
bei Papa Manzoni und dem alten Signore
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