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Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)

Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)

Titel: Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Traber
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solchen
Lesestoff aus winzigen Verlagen im Ausland bestellte, fast zur Verzweiflung.
    Wie die
jungen Frauen in jener Zeit über die Macho-Typen von Männern herfielen und manchmal
frech wurden! Das war neu, tat gut, es wirkte ungeheuer befreiend – und ein kleines
bisschen von jenem revolutionären Aufbegehren blieb ihr. Im Alter, wünschte sie
sich, würde sie nicht milde oder resigniert werden wollen, sondern lieber böse,
nach wie vor aufmüpfig und vor allem kämpferisch.
     
    Eva las einmal die Dissertation
eines Psychologen über die Motive von Menschen, sich bewusst Extremsituationen auszusetzen.
Alle zeigten, so wurde darin behauptet, auffallende Ähnlichkeiten in ihren Persönlichkeitsstrukturen
und Entwicklungen. Unfälle schreckten Extrembergsteiger und Alpinisten, die Touren
der höchsten Schwierigkeitsgrade unternehmen, offenbar nicht ab, im Gegenteil. Je
schwieriger eine Klettertour sei, desto mehr reize es sie, das Risiko in Kauf zu
nehmen.
    Die meisten
Testpersonen hätten ein Vater-Problem, das heißt, sie litten als Kind unter einem
extrem autoritären, harten Vater, der ihnen kein Vorbild sein konnte. Die Beziehung
zur Mutter hingegen war meist gut, die Atmosphäre in der Familie jedoch kühl gewesen.
Als Kinder seien die später tollkühnen Männer keineswegs Draufgänger gewesen, sondern
eher still, ruhig, schüchtern. Zwischen dem 16. und 22. Lebensjahr hätten sie sich
ausgeprägt orientierungslos verhalten, was sich in Haltlosigkeit, Unsicherheit,
Depressionen, Minderwertigkeitsgefühlen, Ängstlichkeit äußerte. Die Folge davon
seien starke Aggressionen, wurde in der wissenschaftlichen Arbeit erklärt; die enge
Mutterbindung habe jedoch ein Ausleben dieser aggressiven Gefühle verhindert.
    In der Liebe
zu den Bergen zeige sich bei solchen Menschen, meist Männern, die Sehnsucht nach
Ordnung der psychischen Kräfte. Auf den Bergtouren könnten sie ihre Leistung, ihren
Mut und ihre Ausdauer ständig steigern. Die Gefahr sei der Ort, wo der Extrembergsteiger
seine Aggressionen abbauen könne. Nach einer langen Periode der Lethargie und Resignation
sei das Klettern die erste Erfahrung einer freiwilligen und selbständigen Leistung.

    Diese These
schien zum Teil auf Alex zuzutreffen.
     
    Eigenartig, wie gewisse Ereignisse
sich im Lauf der Jahre in der Erinnerung verändern! Erinnerungen sind trügerisch.
Beim Schreiben wusste Eva auf einmal nicht mehr, wie sich die Geschichte mit Alex
wirklich zugetragen hatte. So genau ließen sich Dinge aus der Vergangenheit manchmal
nicht mehr nachvollziehen, sie verblassten, verzerrten, verflachten, veränderten
sich, erhielten ein völlig anderes Gewicht, und oft konnte man das Wichtige nicht
mehr vom Unwichtigen, Fiktion nicht mehr von der Realität unterscheiden. Hatte sie
sich nach ihrer Rückkehr aus Südtirol schonen wollen und ihre Enttäuschung verdrängt,
weil es zu schmerzhaft gewesen wäre zuzugeben, dass ihre Liebe gescheitert war?
Oder versuchte sie, die Wahrheit zu vertuschen, um die Eltern nicht zu beunruhigen,
die hofften, die Tochter werde nun endlich heiraten? Welche Wahrheit? Gab es mehrere
oder verschiedene, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man sie betrachtete?
    Eva behauptete
nach ihrer Rückkehr aus Südtirol erst einmal, alles sei in Ordnung zwischen Alex
und ihr. Ja, es sei traurig und schwierig, dass sie nun einige Monate auf ihren
Freund – oder eher Verlobten – warten müsse, der nach Saudi-Arabien habe zurückkehren
müssen, gab sie im Freundes- und Verwandtenkreis zu, und man nahm Anteil und bedauerte
sie. Die Arme, die sich nun vor Sehnsucht nach ihrem Zukünftigen, der weit weg lebte,
verzehrte! Trennungen zwischen Liebenden – wie schlimm.
    So hätte
es gewesen sein können.
    Den Eltern
gegenüber, die nach wie vor von ihrem kurzen Aufenthalt in den Dolomiten und vom
zukünftigen Schwiegersohn schwärmten, verschwieg sie ihre Befürchtungen, die Liebesgeschichte
könnte in einer Sackgasse landen oder bereits gelandet sein. Der abrupte Abschied
von Alex auf dem Parkplatz in Pontresina samt ihrer mutigen Erklärung, sie wolle
nichts mehr von ihm wissen – das war nichts als Wunschdenken. Sie hatte ihm nämlich
in Wirklichkeit nicht gesagt, dass alles zu Ende sei und sie ihn nie mehr sehen
wolle, hatte es höchstens gedacht oder angedeutet.
    Und sein
Heiratsantrag? Hatte sich diese Episode in einem Bachbett in den Dolomiten so zugetragen
– oder hatte sie auch das mehr oder weniger erfunden und machte sich etwas

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