Tödliche SMS (German Edition)
geheim halte?“ Er stand auf, ging zur Terrassentür und starrte hinaus.
„Wenn ich ehrlich bin, nein!“, antwortete Andrea.
Er wirbelte herum. „Mein Gott, Andrea, ich bin verheiratet. Glücklich verheiratet. Ich bin sechsundvierzig Jahre, habe eine wunderbare Frau, zwei tolle Kinder. Glaubst du wirklich, dass ich das alles freiwillig aufs Spiel setze?“
Andrea studierte sein Gesicht. Sie fand es geradezu lächerlich, wie er sich hier aufspielte. „Jetzt mach mal ’nen Punkt! Was heißt hier aufs Spiel setzen? Wovon sprichst du eigentlich?“
„Na von dem Verhältnis, das ich mit Silke hatte. Deshalb bist du doch gekommen, oder nicht?“
Verhältnis? So konnte man es auch nennen.
„Ich rede davon, dass du Silke schon seit ihrem vierzehnten Lebensjahr kanntest und du ihr die Unschuld geraubt hast.“ Sie betonte lächelnd die letzten drei Worte. Silke hätte diese Situation sicher gefallen. Ihr Exlover beim Verhör durch ihre beste Freundin.
Gerhards Mimik entspannte sich und er grinste breit. „Das weißt du?“
„Seit einer halben Stunde … Das heißt, eigentlich … Nein, eigentlich weiß ich es schon länger. Silke hat mir davon erzählt. Nur hatte ich deinen Namen vergessen. Ja und jetzt war ich gerade bei Silkes Eltern und da fiel dein Name so nebenbei, da ist es mir wieder eingefallen.“
„Du hast mit Silkes Eltern über mich gesprochen?“
„Nicht, was du denkst. Die beiden kramen halt jetzt alle alten Geschichten aus“, log Andrea. „Na ja, und Maria hat mir erzählt, dass Silke mal für dich geschwärmt hat, dass da aber nichts Ernstes gewesen sei, weil du ja so viel älter bist … blablabla.“
Er setzte sich wieder in den Sessel, lehnte sich zurück, legte die Füße auf den Tisch und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Sein Blick blieb irgendwo in der Luft hängen. „Das war schon eine, die Silke. Wir mussten uns damals heimlich treffen. Du weißt ja jetzt, dass ich um dreizehn Jahre älter bin als sie. Sie war fünfzehn, als es passierte. Heute bin ich Mitte vierzig und sie war Anfang dreißig, da ist der Unterschied nicht mehr so gewaltig.“
„Aber sie war vierzehn, als das mit euch beiden begann.“
„Fast fünfzehn“, beharrte er. „Wir haben uns Anfang Februar zum ersten Mal geküsst, und wie du weißt, hat sie am 15. März Geburtstag.“
Andrea war gerührt. Er hatte Silkes Geburtstag im Kopf behalten. Die meisten Männer hatten schon Schwierigkeiten mit den Daten ihrer Familienangehörigen.
„Sie war damals schon etwas Besonderes. Kein Mädchen für eine schnelle Nummer. Bei ihr wurde alles zelebriert, sogar ihre eigene Entjungferung hatte sie inszeniert, wie ein …“ Er suchte nach Worten. „Zelebriert, als wäre es ein sakrales Ereignis. Das war sogar für mich neu. Die Mädchen, die ich bis dato gekannt hatte, waren alle nervös und hatten Angst vorm ersten Mal. Silke nicht. Für sie war es wirklich ein heiliger Akt. Sie freute sich darauf.“
„Heiliger Akt? Sakrales Ereignis? Waren das ihre Worte? Die Worte einer Fünfzehnjährigen?“
Er lachte, dachte zurück. „So hat sie es jedenfalls damals genannt. Du kennst doch Silkes Hang zur Theatralik. Hm, so etwas hatte ich vorher noch nicht erlebt.“
Plötzlich war sie da, die Erkenntnis. Das Wort „Theatralik“ hatte sie darauf gebracht. Ganz klar lag sie vor Andrea auf dem Tisch. Der Mörder musste Silkes Hang zur Inszenierung und Theatralik gekannt haben. Diese ganze Geschichte mit den SMS, den Blumen, dem Mittagessen, und auch Silke war aufdem Tisch im Atelier arrangiert worden, wie ein Schüttbild von Nitsch. Der Inspektor hatte sich geirrt. Jetzt war sie sich ganz sicher. Der SMS-Schreiber war doch der Mörder und das nächste Opfer war sie selbst. Sie behielt diesen Gedanken aber für sich, knüpfte an Gerhards Geschichte an.
„Ganz unrecht hatte sie damit ja nicht. Eine Entjungferung erlebt jedes Mädchen ja wirklich nur einmal im Leben.“
Andreas Neugier wuchs. Sie dachte an ihre eigene Entjungferung. Die war wenig spektakulär, von einem besonderen Ereignis so weit entfernt wie Meg Ryan von Tom Hanks in „Schlaflos in Seattle“. Sie war damals ziemlich enttäuscht gewesen. Der Junge war gleich alt und in dieser Sache mindestens so tollpatschig und unerfahren wie sie gewesen. Für sie beide war es das erste Mal gewesen. Es hatte weh getan, Blut war geflossen und sonst war da nichts, woran sie sich gerne erinnert hätte. Sie hatten danach kaum mehr ein Wort miteinander
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