Toedliche Spiele
»Wahrscheinlich ist sie irgendeine Verräterin. Ziemlich unwahrscheinlich, dass du sie kennst.«
»Und selbst wenn, du darfst mit keinem von ihnen sprechen, außer um Befehle zu erteilen«, sagt Effie. »Aber natürlich kennst du sie gar nicht.«
Doch, ich kenne sie. Und jetzt, da Haymitch das Wort
Verräterin
erwähnt hat, weiß ich auch, woher. Aber die allgemeine Missbilligung ist so deutlich, dass ich es niemals zugeben könnte. »Nein, ich glaube nicht, ich habe nur ...«, stammele ich und der Wein macht es nicht besser.
Peeta schnippt mit den Fingern. »Delly Cartwright. Genau. Mir kam sie nämlich auch bekannt vor. Bis mir klar wurde, dass sie Delly aufs Haar gleicht.«
Delly Cartwright ist ein blassgesichtiges, pummeliges Mädchen mit gelblichem Haar, die unserer Kellnerin etwa so ähnlich sieht wie ein Käfer einem Schmetterling. Außerdem ist sie vielleicht der freundlichste Mensch auf der Welt - in der Schule lächelt sie dauernd alle an, sogar mich. Das rothaarige Mädchen habe ich noch nie lächeln gesehen. Aber ich nehme Peetas Vorlage dankbar auf. »Natürlich, an Delly hat sie mich erinnert. Wahrscheinlich wegen der Haare«, sage ich.
»Und auch wegen der Augen«, sagt Peeta.
Die Spannung am Tisch löst sich auf. »Nun ja. Wenn's nur das ist«, sagt Cinna. »Und die Torte enthält tatsächlich Schnaps, aber der Alkohol ist verbrannt. Ich habe sie extra zu Ehren eures feurigen Debüts bestellt.«
Wir essen die Torte und begeben uns dann in einen Salon, um im Fernsehen die Wiederholung der Eröffnungsfeier anzuschauen. Einige der anderen Paare sehen ganz hübsch aus, aber keines von ihnen kann uns das Wasser reichen. Sogar uns selbst entfährt ein Laut des Staunens bei unserer Ausfahrt aus dem Trainingscenter.
»Wer hatte die Idee mit dem Händchenhalten?«, fragt Haymitch.
»Cinna«, sagt Portia.
»Genau der richtige Touch Rebellion«, sagt Haymitch. »Sehr hübsch.«
Rebellion? Darüber muss ich einen Moment nachdenken. Aber als ich an die anderen Paare denke, jeder steif und für sich, einander weder berührend noch eines Blickes würdigend, als würde der Partnertribut gar nicht existieren, als hätten die Hungerspiele bereits begonnen, verstehe ich, was Haymitch meint. Wir haben uns nicht als Gegner, sondern als Freunde präsentiert, und das hat uns genauso herausgehoben wie die brennenden Kostüme.
»Morgen früh beginnt die erste Trainingseinheit. Beim Frühstück werde ich euch genau erklären, wie ihr sie angehen sollt«, sagt Haymitch zu Peeta und mir. »Und jetzt geht schlafen, während sich die Erwachsenen unterhalten.«
Peeta und ich gehen den Flur entlang. Als wir vor meiner Zimmertür ankommen, lehnt er sich gegen den Rahmen. Er versperrt mir nicht direkt den Weg, zwingt mich jedoch, ihn anzusehen. »Delly Cartwright, soso. Das war was, hier ihrer Doppelgängerin zu begegnen.«
Er wartet auf eine Erklärung und ich bin versucht, ihm eine zu geben. Wir wissen beide, dass er mich gedeckt hat. Schon wieder bin ich ihm etwas schuldig. Wenn ich ihm die Wahrheit über das Mädchen sage, könnte ich etwas davon wettmachen. Was könnte es schaden? Selbst wenn er die Geschichte ausplaudern würde, wäre das nicht so schlimm. Ich war schließlich nur Zeuge. Und was Delly Cartwright angeht, so hat er schließlich genauso gelogen wie ich.
Ich merke, dass ich jemandem von dem Mädchen erzählen möchte. Jemandem, der mir helfen könnte, ihre Geschichte zu verstehen. Gale wäre erste Wahl, aber es ist unwahrscheinlich, dass ich Gale je wiedersehe. Ich überlege, ob es Peeta einen Vorteil verschaffen könnte, wenn ich es ihm erzähle, aber ich wüsste nicht, wie. Wenn ich ihn ins Vertrauen ziehe, denkt er vielleicht sogar, dass ich ihn als Freund betrachte.
Abgesehen davon macht mir der Gedanke an das Mädchen mit der verstümmelten Zunge Angst. Sie hat mich daran erinnert, warum ich hier bin. Nicht um Glitzerklamotten vorzuführen und Delikatessen zu verspeisen. Sondern um einen blutigen Tod zu sterben, während die Menge meinen Mörder anfeuert.
Verraten oder nicht verraten? Mein Hirn fühlt sich noch träge an vom Wein. Ich starre in den leeren Flur, als könnte ich dort die Lösung finden.
Peeta nutzt mein Zögern. »Warst du schon mal auf dem Dach?« Ich schüttele den Kopf. »Cinna hat es mir gezeigt. Du kannst praktisch über die ganze Stadt schauen. Nur der Wind ist ein bisschen laut.«
In Gedanken übersetze ich das mit: »Niemand wird unser Gespräch belauschen können.«
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