Tödliche Täuschung
hinauf, obwohl er kaum vierzig war. Er blickte zu Rathbone hinüber, ohne ihn zu sehen.
Das Gericht wartete in absolutem Schweigen. Die Menschen spürten Wolffs Trauer, und sie nötigte ihnen Respekt ab.
Rathbone hatte ihm bereits sein Mitgefühl ausgesprochen, und es war nicht notwendig, jetzt irgendwelche Platitüden von sich zu geben.
»Mr. Wolff, würden Sie uns b itte von den Ereignissen gestern am späten Abend erzählen, die Sie heute hierher führen«, sagte er.
Wolff sprach schnell und abgehackt, und seine Stimme war monoton.
»Ich bin zu Melville gegangen, da ich wusste, dass er nach dem Tag vor Gericht aufgewühlt sein würde.« Es war eine einfache Feststellung ohne jegliche Wertung. Er sah jetzt Rathbone an. »Ich habe bei ihm geläutet. Er hat nicht aufgemacht. Ich habe einen Schlüssel. Ich habe selbst aufgeschlossen. Er saß im Wohnzimmer, in einem Sessel am Kamin, aber das Feuer war bis auf den letzten Rest heruntergebrannt. Es war offensichtlich seit drei oder vier Stunden nicht mehr geschürt worden. Er sah aus, als sei er eingeschlafen. Zuerst hoffte ich, dass er tatsächlich schlief. Dann berührte ich ihn und wusste Bescheid. Er war kalt.« Mehr sagte er nicht.
»Um wie viel Uhr war das, Mr. Wolff?«, fragte Rathbone.
Im Raum herrschte noch immer Stille. Alle Augen waren auf Wolff gerichtet.
»Zwischen halb elf und elf«, erwiderte Wolff. Er wirkte vollkommen ruhig. Was sie auch von ihm dachten, es konnte ihm jetzt nicht mehr wehtun. Das Schlimmste, was er sich vorstellen konnte, war bereits eingetreten.
»Haben Sie irgendetwas gesehen, das Ihnen Rückschlüsse auf die Art seine Todes zu ziehen erlaubt?«, hakte Rathbone nach, obwohl er die Antwort bereits kannte.
»Nein.« Nur das eine Wort.
»War irgendetwas in Unordnung gebracht worden?«
»Nein. Alles war wie immer.«
»Stand ein Glas oder eine Tasse im Zimmer, vielleicht in der Nähe des Sessels?«
»Nein.«
»Haben Sie eine Notiz oder einen Brief irgendeiner Art gefunden?«
»Nein.«
»Ich danke Ihnen, Mr. Wolff. Wenn Sie dann bitte noch sitzen bleiben würden; Seine Lordschaft wird vielleicht einige Fragen an Sie haben.«
Wolff drehte sich langsam zu dem Richter um.
»Nein, danke«, lehnte McKeever leise ab. »Der Fall scheint absolut klar zu sein. Es tut mir Leid, dass wir Sie bemühen mussten, Mr. Wolff. Das Gericht spricht Ihnen sein Beileid aus.«
»Vielen Dank.« Er wandte sich ab und stieg die Stufen hinunter, wobei er sich am Geländer abstützte. Er ging zu einem der Sitzplätze im hinteren Teil der Galerie, und jemand stand auf, um ihm Platz zu machen.
Er sah wieder zu Barton Lambert hinüber. Dieser rutschte auf seinem Stuhl unbehaglich hin und her. Seine ganze Haltung drückte echten Kummer aus. Er wandte sich an Delphine, aber sie blickte mit emporgerecktem Kinn in die andere Richtung und versuchte das Beste aus ihrer unangenehmen Situation zu machen, obwohl sie immer noch Siegesbewusstsein ausstrahlte. Zillahs Ruf war wiederhergestellt, und das zählte für sie mehr als alles andere.
Zillah selbst saß mit bleichem Gesicht und reglos da und sah abwechselnd zu Isaac Wolff und zum Richter, obwohl sich unmöglich sagen ließ, ob sie die beiden Männer wirklich zur Kenntnis nahm, so sehr schien sie in ihre eigene Trauer versunken zu sein.
»Sir Oliver!«, sprach McKeever ihn an.
»Mylord?«
»Sagten Sie nicht, dass Sie auch einen Arzt hinzugezogen hätten?«
»So ist es, Mylord.«
»Würden Sie ihn dann bitte aufrufen?«
»Ja, Mylord. Dr. Godwin.«
Auf der Galerie breitete sich sogleich Unruhe aus, da zwei Dutzend Menschen die Hälse reckten, um zur Tür hinüberzusehen.
Godwin erwies sich als ein untersetzter Mann mit dunklem Haar und dem melodischen Klang der Waliser in der Stimme. Er nannte seinen Namen und Berufsstand und legte den Eid ab, bevor er auf Rathbones Fragen antwortete.
»Dr. Godwin, Sie wurden gestern Abend gegen elf Uhr in die Great Street gerufen?«
»Das stimmt.«
»Wer hat Sie gerufen und aus welchem Grund?«
»Mr. Isaac Wolff wollte, dass ich mich um seinen Freund , Killian Melville, kümmere, der offensichtlich gestorben war.«
»Und als Sie Mr. Melville untersuchten, war er da tatsächlich tot?«
»Ja, Sir, das war er - das heißt… zu diesem Zeitpunkt nahm ich nur eine oberflächliche Untersuchung vor. Eine sehr oberflächliche.«
Es herrschte tiefstes Schweigen im Raum.
McKeever beugte sich gespannt vor und runzelte die Stirn, als sei ihm die Bemerkung des Arztes
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