Tödliche Täuschung
Sacheverall zog nicht einmal seine Hand zurück. »Natürlich«, sagte er mit einem Nicken. »Natürlich. Ich verstehe.«
»Sie verstehe n gar nichts!«, fuhr Zillah ihn mit wütendem Blick an. »Sie sind ein - ein condottierre!«
»Ein was?« Er war einen Augenblick lang ratlos.
»Ein Glücksritter«, erwiderte sie vernichtend. »Ein Mann, der dafür bezahlt wird, für irgendeine Sache zu kämpfen, ein Mann, der - unter Vertrag steht«. Und wenn Sie mich nicht sofort loslassen, schreie ich. Möchten Sie das?«
Er nahm hastig die Hand von ihrer Schulter. »Sie sind hysterisch!«, sagte er versöhnlich. »Das alles war ein großer Schock für Sie.«
»Jawohl, ich bin hysterisch!«, pflichtete sie ihm zu seiner Überraschung bei. »Ich habe mich noch nie in meinem Leben schlechter gefühlt. Ich glaube nicht, dass mir noch etwas Schrecklicheres widerfahren kann, abgesehen von Ihrem Benehmen mir gegenüber.«
»Zillah!«, fuhr Delphine sie an. Dann blickte sie lächelnd zu Sacheverall auf. »Ich glaube, Sie wären besser beraten, uns für ein Weilchen allein zu lassen, für ein oder zwei Tage vielleicht. Trotz all Ihres Mitgefühls glaube ich nicht, dass Sie ganz ermessen können, wie furchtbar das alles für ein junges Mädchen war, das mit den… elementareren Gefühlen der Männer noch nie konfrontiert war. Die Vorkommnisse bringen wohl jeden… ein klein wenig aus dem Gleichgewicht. Bitte nehmen Sie sich nichts, was sie gerade jetzt sagt, zu Herzen. Halten Sie ihr die Situation zugute…«
»Selbstverständlich«, sagte er und erwiderte ihr Lächeln.
»Selbstverständlich.« Er verneigte sich kurz vor Zillah und kehrte an seinen Tisch zurück.
Zillah flüsterte ihrer Mutter etwas zu. Von Rathbones Platz aus waren die Worte nicht zu verstehen, aber die Röte, die langsam in Sacheveralls Wangen trat, legte die Vermutung nahe, dass er zumindest den Tonfall, wenn auch nicht den Inhalt ihrer Worte gehört hatte.
McKeever sah Rathbone erwartungsvoll an.
»Ich nehme an, wir werden die tragische Neuigkeit auch von einigen Zeugen belegt finden, Sir Oliver? Und zweifellos werden wir daneben sachkundige Zeugen hören? Hat sich ein Arzt um die Angelegenheit gekümmert?«
»Ja, Mylord. Ich habe mir die Freiheit genommen, sowohl den Doktor als auch Mr. Isaac Wolff, der Mr. Melville gefunden hat, hierher zu bitten.«
»Ich danke Ihnen. Das war äußerst vorausschauend. Es wird dem Gericht eine zeitaufwendige Vertagung ersparen, die beiden hierher zu bitten.« Er zögerte und holte dann tief Luft.
»Sir Oliver, ich möchte Ihnen das tiefe Mitgefühl des Gerichts aussprechen, das die Dinge sich in dieser Art entwickelt haben. Killian Melville war ein hochbegabter Mann und seine Künste eine Zierde unserer Gesellschaft und aller Generationen, die noch kommen werden. Sein Verlust ist eine Tragödie.« Er verzichtete darauf, eine Bemerkung über den Fall oder seinen Ausgang zu machen. Die Unterlassung war beabsichtigt und sehr deutlich. Mehrere Geschworene nickten zustimmend.
»Vielen Dank, Mylord«, sagte Rathbone mit einem Aufruhr der Gefühle, der ihn selbst überraschte und seine Stimme heiser klingen ließ.
Irgendwo auf der Galerie putzte ein Mann sich ziemlich lautstark die Nase, und eine Frau unterdrückte ein Schluchzen.
»Rufen Sie Mr. Wolff herein«, befahl McKeever.
Rathbone tat es Leid, Wolff diesem Martyrium aussetzen zu müssen. Der Mann hatte kaum geschlafen und wahrscheinlich den Menschen, den er am meisten liebte, durch einen plötzlichen und zutiefst tragischen Tod verloren. Melville zweifelte nicht daran, dass er sich aus Kummer über die Zerstörung sowohl seines Privatlebens als auch seiner Karriere das Leben genommen hatte. Wolff selbst befand sich nun seinerseits in Gefahr, seine berufliche Position, seinen Lebensunterhalt und vielleicht sogar seine Freiheit zu verlieren, falls Sacheverall rachsüchtig genug war, Anklage zu erheben.
Und doch brannte in Rathbone eine Wut, die ihn dazu trieb, diesem Gericht zu zeigen, welche Schuld es auf sich geladen hatte. Vor allem wollte er es Lambert vor Augen führen. Sacheverall mochte zu wenig Mitgefühl haben, um Bedauern oder Scham zu empfinden, aber wenn die anderen das sahen, würde vielleicht sein Ruf leiden, und das ersehnte Rathbone sich von ganzem Herzen.
Isaac Wolff trat in den Saal. Seine dunklen Augen lagen so tief in ihren Höhlen, dass er wie ein Leichnam aussah. Er ging wie ein alter Mann quer durch den Raum und die Stufen zum Zeugenstand
Weitere Kostenlose Bücher