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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nicht recht verständlich.
    »Ihre Wortwahl ist merkwürdig«, stellte Rathbone fest.
    »Wollen Sie damit andeuten, dass eine spätere Untersuchung ergeben hat, dass Mr. Melville doch nicht tot war?« Er fragte nur, um ganz sicher zu gehen. Er hatte nicht die leiseste Hoffnung, dass ein Irrtum vorliegen könne.
    »O nein. Killian Melville war tot, die arme Seele«, versic herte Godwin ihm nickend. Dann schürzte er die Lippen und wartete auf die nächste Frage.
    »Können Sie uns sagen, was die Todesursache war, Dr.
    Godwin?«
    »Noch nicht, jedenfalls nicht mit Gewissheit. Aber es war irgendein Gift, und zwar höchstwahrscheinlich vom Typ Belladonna. Man kann es in den Augen sehen. Aber sicher werde ich es erst wissen, wenn ich den Mageninhalt untersucht habe. Dafür war bisher noch keine Zeit.«
    „Vielen Dank. Ich habe im Augenblick keine weiteren Fragen mehr an Sie.«
    »Nein - nein, das kann ich mir denken.« Godwin blieb unbeweglich im Zeugenstand stehen. »Aber ich kann Ihnen etwas berichten, von dem ich annehme, dass Sie es bisher noch nicht wussten.«
    Der Raum schien von einem Knistern erfüllt zu sein, als läge ein Gewitter in der Luft.
    »Ja?«
    »Killian Melville war eine Frau.«
    Niemand rührte sich.
    Einem Reporter brach ein Bleistift entzwei, und das Geräusch klang wie ein Schuss.
    Eine Frau schrie auf.
    »Ich - ich bitte um Verzeihung«, sagte Rathbone und schluckte.
    »Killian Melville war eine Frau«, wiederholte Godwin klar und deutlich.
    »Sie meinen, er war…« McKeever war wie vom Donner gerührt.
    »Nein, Mylord«, korrigierte Godwin ihn. »Ich meine, sie war… in jeder Hinsicht eine vollkommen normale Frau.«
    Zillah glitt lautlos zu Boden.
    Auf der Galerie schnappten mehrere Zuschauer nach Luft. Einer der Geschworenen benutzte einen Kraftausdruck, von dem er normalerweise nicht einmal zugegeben hätte, dass er ihn kannte.
    Delphine Lampert stieß einen Schrei aus und schlug sich eine Hand vor den Mund. Plötzlich war ihr Gesicht tiefrot vor Verlegenheit und Zorn. Sie starrte konzentriert geradeaus, um nur ja niemandem in die Augen sehen zu müssen. Die Enthüllung des Arztes hatte sie vollkommen unvorbereitet getroffen. Das konnte jeder sehen, der sie beobachtete. Und vielleicht war es gerade diese Tatsache, die sie im Augenblick wütender machte als alles andere. Der Schock war vollkommen.
    Niemand schien auf Zillah geachtet zu haben, die in Ohnmacht gefallen war.
    Sacheverall ergriff endlich die Initiative. Er erhob sich taumelnd und fuchtelte mit den Armen.
    »Das dürfte man kaum normal nennen können, Mylord! Dr.
    Godwin verhöhnt hier den Ausdruck ›normal‹! Killian Melville war in keiner Hinsicht normal! Weder als Mann noch als Frau!«
    »Ich meinte in medizinischer Hinsicht!«, fuhr Godwin mit überraschender Heftigkeit auf. »Körperlich war sie genau wie jede andere Frau.«
    »Warum hat sie sich dann wie ein Mann gekleidet?«, schrie Sacheverall, noch immer wild gestikulierend, »warum hat sie sich wie ein Mann benommen und in jeder Weise einen Mann nachgeahmt? Um Gottes willen, sie hat sogar einer Frau die Ehe angetragen!«
    Rathbone war nun ebenfalls aufgesprungen und schrie Sacheverall seine Antwort ins Gesicht. »Genau das habe ich hier klarzumachen versucht! Sie hat es nicht getan! Mrs. Lambert war so versessen darauf, eine exzellente Partie für ihre Tochter zu machen, dass sie davon ausgegangen ist, dass Melvilles Zuneigung und Wertschätzung für Miss Lambert romantischer Natur sein müsse, während seine Gefühle in Wirklichkeit genau das waren, was er behauptet hatte: eine tiefe und ehrliche Freundschaft!« Er sprach, ohne nachzudenken, etwas, von dem er sich geschworen hatte, es vor Gericht niemals zu tun, aber noch während er seine eigene Stimme hörte, war er von der Wahrheit seiner Worte überzeugt. Jetzt, mit der Klarheit besseren Wissens, schien alles so offensichtlich zu sein. Melvilles Leidenschaft und sein Schweigen - ihr Schweigen - waren so leicht zu verstehen. Natürlich hatte er - sie - gelacht, als Rathbone fragte, ob die Beziehung zu Isaac Wolff homosexueller Natur gewesen sei. Er erinnerte sich jetzt daran, wie ausweichend seine Antworten geklungen hatten. Er erinnerte sich an ein Dutzend verschiedener Dinge, winziger Kleinigkeiten - den freimütigen Blick, die helle Haut, die schlanken, kräftigen Hände, die mangelnde Männlichkeit in Bewegung und Gestik. Die heisere Stimme hätte genauso gut einem Mann wie einer Frau gehören können.
    Welche

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