Tödliche Täuschung
eine Einladung erhalten hatte, war einfach abgesagt worden. Ein prachtvolles Kleid musste beiseite gelegt werden und konnte erst bei einer anderen Gelegenheit, als es bereits wieder aus der Mode war, zur Geltung gebracht werden. Da er selbst etwas von Kleidern verstand und Eitelkeit ihm nicht fremd war, konnte Monk ermessen, welches Opfer das für Delphine bedeutet hatte. Sie musste einen wirklich zwingenden Grund gehabt haben, damals zu verreisen.
Zu Anfang war die Freundschaft zwischen Zillah und dem jungen Hubert Gibbons durchaus unschuldig erschienen, aber wenn Delphine bereit war, ein solches Opfer zu bringen, dann musste mehr dahinter gesteckt haben. Wenn er nicht lockerließ, konnte er es herausfinden.
Es war am Morgen des dritten Tages, als er endlich genug Beweise in Händen hielt, um die Sache stichhaltig zu belegen. Natürlich gab es keine Zeugen dafür, dass die beiden in mehr als einem romantischen Sinn Liebende gewesen waren. Aber sie hatten viel Zeit allein miteinander zugebracht. Hubert war neunzehn, ein Alter, in dem, wie Monk wusste, die Gefühle stürmisch waren und das Blut heiß wallte und Zurückhaltung oder Selbstdisziplin nichts bedeuteten. Zillah war anscheinend eine eigensinnige Fünfzehnjährige gewesen, voller Träume, die wohl nur Hubert kannte.
Allen Berichten zu Folge waren ihre Eltern großzügig gewesen und hatten eher nachgegeben, als hart durchzugreifen. Jede verantwortungsbewusste Mutter hätte das Gleiche getan wie Delphine, wahrscheinlich sogar früher. Die einzige Antwort auf eine solche Liaison war die, die Stadt für eine Weile zu verlassen. Die Beziehung war in gesellschaftlicher Hinsicht nicht wünschenswert: Hubert besaß nicht die finanziellen Mittel, um eine Frau angemessen zu unterhalten, und keine beruflichen Zukunftsaussichten; und Zillah war zu jung und durch und durch unpraktisch. Der plötzliche Aufbruch ließ vermuten, dass die Situation keinen Aufschub duldete.
Wusste Baron Lambert davon? War die Sache so ernst gewesen, dass die Preisgabe ihres Geheimnisses Zillah ruiniert hätte? Aber wenn es so gewesen war und Lambert davon wusste, dann hätte er es doch gewiss nicht zum Prozess gegen Melville kommen lassen?
Mussten sie noch auf jemand anderen Rücksicht nehmen? Gab es irgendetwas an Hubert Gibbons, das wissenswert wäre?
Wenn Monk nicht Zillah, sondern ihn einer Prüfung unterzogen hätte, hätte er dann etwas entdeckt, das es wert gewesen war, einen Mord zu begehen? Es schien ihm höchst unwahrscheinlich. Was hätte das sein sollen? Eine andere Affäre vielleicht, ein Kind oder eine Vergewaltigung? Was war seither aus Hubert Gibbons geworden?
Bevor er dieser Frage nachging, was viel Zeit in Anspruch nehmen würde und überdies fruchtlos sein konnte, beschloss er, mit Barton Lambert zu sprechen.
Es war kurz vor ein Uhr, und er wurde bereitwillig ins Haus eingelassen und in den großen, sehr behaglichen Salon geführt. Die Balkontüren führten hinaus auf eine kleine Rasenfläche inmitten von Hortensienbüschen, unter denen dicht an dicht kleine weiße Blumen blühten.
Ein kräftiges Feuer wärmte den Raum, und schwere Brokatvorhänge vor den großen Fenstern schützten vor kalter Zugluft. Delphine Lambert saß auf einem der Sofas. Sie trug ein leuchtendes blaues Kleid, und ihre ausladenden Röcke glänzten im Licht. Sie wirkte gelassen und zufrieden. Wyston Sacheverall stand etwas näher am Fenster, nicht weit von Zillah entfernt - um genau zu sein, fielen die Rüschen ihres altrosafarbenen Kleides bis über die Spitzen seiner blank geputzten Schuhe. Er hielt seinen Blick auf sie gerichtet und nahm Monks Erscheinen überhaupt nicht zur Kenntnis. Sein Gesicht war voller Eifer, und er sprach lächelnd auf sie ein.
Zillahs Aufmerksamkeit schien von etwas im Garten angezogen zu sein, von einer Blume oder einem Vogel. Sie hatte die Schultern ein wenig hochgezogen, sodass der Stoff ihres Mieders sich spannte, und Monk konnte nur ihr Profil sehen. Als sie seine Stimme hörte, drehte sie sich um und kam auf ihn zu.
»Guten Tag, Mr. Lambert, Mrs. Lambert«, sagte Monk förmlich. »Miss Lambert…«
»Guten Tag, Mr….« Delphine hielt inne, als hätte sie seinen Namen bereits vergessen.
»Monk«, half Lambert nach. »Guten Tag, Mr. Monk. Was können wir für Sie tun?«
Sacheverall blieb demonstrativ am Fenster stehen. Er starrte Monk an, machte aber keine Anstalten, auf ihn zuzukommen. Sein Verhalten ließ sich kaum missverstehen.
Zillah dagegen schien
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