Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Melville wäre nicht der erste junge Mann, der sich in eine ältere Frau verliebte. Der Gedanke war ihm noch nie gekommen. Delphine hatte den Eindruck gemacht, dass sie sich ehrlich verraten fühlte. Aber andererseits wusste sie vielleicht nichts von Melvilles Gefühlen.
    Hesters Gedanken überschlugen sich. »Oder vielleicht ist das Mädchen selbst in einen anderen verliebt, und Ihr Mandant weiß davon«, meinte sie. »Es könnte eine Ehrensache für ihn sein, das größte Geschenk, das er ihr machen kann… Und sie wagt es nicht, ihren Eltern davon zu erzählen, falls dieser andere Mann unpassend sein sollte. Oder aber es könnte Stolz sein, - er will keine Frau heiraten, von der er weiß, dass sie nicht ihn, sondern einen anderen liebt. Ich jedenfalls würde genauso handeln! Auch wenn der Betreffende einer Ehe absolut nicht abgeneigt wäre.«
    Rathbone lächelte. »Das glaube ich Ihnen aufs Wort. Aber viele von uns haben die Illusion, wir könnten einen anderen lehren, uns zu lieben, wenn man uns nur die Gelegenheit dazu gäbe.« Er hatte kaum ausgesprochen, als er sich fragte, ob seine Worte wohl klug gewählt waren. Näherte er sich damit nicht zu sehr jener unausgesprochenen Herzensangelegenheit, die ihn selbst so verletzlich machte? Es war ihm noch nie in den Sinn gekommen, dass er mehr mit Melville gemein haben könnte als die Angst, in eine Ehe gelockt zu werden, die er nicht wollte. Aber vielleicht verband ihn auch noch anderes mit dem jungen Mann!
    Er wich ihrem Blick aus, betrachtete die Vorhänge und schaute zu den Bäumen im Garten hinaus. Dann wandte er sich wieder Gabriel zu.
    »Ich werde ihn darauf ansprechen.« Er drehte sich wieder zu Hester um. »Ich danke Ihnen, dass Sie mir geholfen haben, meine Gedanken zu ordnen. Ich glaube, ich habe jetzt einen besseren Überblick.« Er lächelte und sagte dann zu Gabriel:
    »Und ich möchte auch Ihnen für Ihre Geduld danken, Lieutenant Sheldon. Sie waren sehr freundlich. Ich wünsche Ihnen eine baldige Genesung.«
    Gabriel und Athol verabschiedeten sich, und Hester stand auf , um ihn zur Tür zu begleiten. Auf dem Flur blickte sie ihm dann ernst und forschend ins Gesicht. Glaubte sie, dass sein Besuch eher persönliche als berufliche Gründe hatte? Hoffentlich nicht.
    »Ich danke Ihnen«, wiederholte er. »Es - es ist mir unmöglich , das Verhalten des jungen Mannes zu begreifen, und ich fürchte, ich werde meinem Mandanten erst dann helfen können, wenn ich etwas Licht in die Angelegenheit gebracht habe.«
    »Es muss noch irgendetwas geben, worüber Sie nichts wissen«, sagte sie nachdenklich. »Ich glaube, Sie müssen in Erfahrung bringen, was das ist«, fuhr sie fort. »Es könnte… körperlicher Natur sein.«
    »Daran habe ich auch schon gedacht«, antwortete er. »Aber wie fragt man einen Mann, ob er impotent ist? Die meisten Männer würden sogar eine Gefängnisstrafe in Kauf nehmen, um das nicht zugeben zu müssen.«
    »Ich weiß«, antwortete sie leise. »Aber es gibt Umschreibungen, die sich anbieten, Notlügen. Es ließe sich vielleicht ein Arzt finden, der attestiert, dass er an einer Krankheit leidet, die eine Ehe unmöglich macht. Selbst wenn die junge Frau es nicht verstünde, ihr Vater würde wissen, was gemeint ist.«
    »Natürlich… Ich danke Ihnen, dass Sie diesen Punkt so offen dargelegt haben. Ich…« Er biss sich auf die Lippen. »Ich gestehe, ich hätte nicht gewusst, wie ich ihm gegenüber eine solche Frage hätte formulieren sollen. Obwohl ich mir keineswegs sicher bin, dass das die Antwort ist.«
    »Nun, wenn es nicht das ist, müssen Sie herausfinden, woran es sonst liegt«, sagte sie. »Sie können es sich nicht leisten, den Prozess zu verlieren, weil Sie über die persönlichen Umstände nicht informiert waren.«
    »Ich weiß. Sie haben natürlich Recht. Wahrscheinlich muss ich diese Dinge selbst in Erfahrung bringen…« Plötzlich lächelte er, »… und dann werde ich meinem Mandanten eine entsprechende Rechnung präsentieren!«
    Sie erwiderte sein Lächeln und drückte ihm kurz und herzlich die Hand, bevor sie die Stufen hinunterging, um ihn Perdita Sheldon vorzustellen, die mit erstauntem Gesichtsausdruck am Fuß der Treppe stand.

5
    Monk stand in seiner Wohnung am Kamin und starrte in die Flammen, während die Kohlen in sich zusammenfielen und die Funken sprühten. Oliver Rathbone war gerade gegangen. Er war fast zwei Stunden bei ihm gewesen und hatte ihm alles über seinen gegenwärtigen Fall erzählt. Tatsächlich

Weitere Kostenlose Bücher