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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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insgeheim Recht gab, billigte er Athol Sheldons Bemerkungen in diesem Zusammenhang nicht. Also beeilte er sich, Hester zu verteidigen.
    »Es war gewiss keine schmerzlose Erfahrung; aber wenn man an die Arbeit von Menschen wie Miss Nightingale denkt, muss man doch dankbar dafür sein, wie viel sie im Bereich der medizinischen Fürsorge verändert haben.«
    »Ja…« Athol nickte, aber seine Miene blieb angespannt. Er steckte die Hände in die Taschen und nahm sie wieder heraus.
    »Natürlich. Bewunderungswürdig. Aber es verändert einen Menschen.«
    »Wie bitte?«
    »Es verändert einen Menschen«, wiederholte Athol, der rastlos im Raum auf und ab ging, bevor er sich wieder Rathbone zuwandte. »Eine Frau ist von Gott und der Natur dazu ausersehen, einen freundlichen und sicheren Ort zu schaffen, einen Ort des inneren Friedens, für Männer, die gezwungen sind, schreckliche oder grausame Dinge zu erleben.« Er runzelte die Stirn und sah Rathbone durchdringend an. »Solche Erfahrungen verändern einen Menschen, Sie wissen schon, der Anblick von etwas wirklich Bösem! Wir sollten die Frauen davor schützen können.« Er breitete die Hände aus. »Damit sie uns aufrichten, unseren Geist erfrischen und uns eine Zuflucht bieten, für deren Schutz es sich zu kämpfen… oder zu sterben lohnt!«
    »Hat Miss Latterly irgendetwas getan, das Sie beunruhigt, Mr. Sheldon?«, erkundigte Rathbone sich nervös.
    »Nun…« Athol biss sich auf die Lippen. »Es ist so, Sir Oliver, dass mein Bruder Gabriel in Indien einige schreckliche Dinge erlebt hat, ganz schockierend.« Er zog die Stirn in Falten und senkte vertraulich die Stimme. »Unglücklicherweise kann er diese Dinge nicht aus seinen Gedanken verbannen. Er hat mit Miss Latterly darüber gesprochen, und sie ist der Meinung, dass meine Schwägerin, Mrs. Sheldon, sich ein wenig über indische Geschichte und später auch über diesen elenden Aufstand informieren sollte, damit sie Gabriels Erfahrungen nachvollziehen und er seine Gefühle mit ihr teilen kann, begreifen Sie?« Er beobachtete Rathbone. »Verstehen Sie? Absolut unschicklich. Perdita sollte niemals etwas von diesen Dingen erfahren. Und der arme Gabriel wird sich weitaus schneller und besser erholen, wenn er mit Menschen zusammen ist, die ihn nicht an diese Dinge erinnern. Es ist erstaunlich, Sir Oliver, welcher Willenskraft ein Mann fähig ist, um den Erwartungen einer Frau gerecht zu werden und sie vor unschönem und entwürdigendem Wissen zu bewahren.« Er schüttelte den Kopf und schürzte die Lippen. »Miss Latterly scheint davon nicht überzeugt zu sein. Und natürlich steht es mir nicht zu, ihr Befehle zu erteilen.«
    Rathbone lachte. »Mir auch nicht, Mr. Sheldon. Aber ich werde sie gewiss auf diese Angelegenheit ansprechen, wenn Sie es wünschen.«
    Athols Miene hellte sich auf. »Das würden Sie tun? Ich wäre Ihnen überaus dankbar. Vielleicht sollten Sie jetzt mit nach oben kommen und meinen Bruder kennen lernen. Miss Latterly ist sicher bei ihm. Sie versteht sich sehr gut darauf, ihm vorzulesen und so weiter. Eine ganz phantastische Frau! Bitte, Sie dürfen niemals glauben, dass ich etwas anderes über sie denke!«
    »Natürlich nicht.« Rathbone lächelte in sich hinein und folgte Athol durch die Bibliothek, die Treppe hinauf und in ein Zimmer, in dem Hester mit einem aufgeschlagenen Buch in einem Schaukelstuhl saß. In dem frisch gemachten Bett ruhte, auf Kissen gestützt, ein junger Mann. Sein leerer Ärmel fiel Rathbone nicht sofort auf. Aber seine linke Gesichtshälfte war grauenvoll entstellt, und Rathbone musste seine ganze Willenskraft aufbringen, um sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen.
    Als der junge Mann bei seinem Eintreten herumfuhr, wurde Rathbone klar, wie unsensibel es von Athol gewesen war, den Bruder nicht zuerst um sein Einverständnis gebeten zu haben.
    Ein kaum verhohlener Ausdruck der Verärgerung huschte über Hesters Gesicht. Anscheinend hatte der Diener seine Bitte um ein kurzes Gespräch nicht Hester, sondern Athol, vielleicht auch Perdita, übermittelt.
    Nach kurzem Zögern ergriff Hester die Initiative. Sie erhob sich, lächelte Rathbone flüchtig zu und wandte sich dann an den Mann im Bett.
    »Gabriel, das ist mein Freund, Sir Oliver Rathbone.« Sie sah Rathbone an, ohne Athol zu beachten. »Oliver, ich würde Sie gern mit Lieutenant Gabriel Sheldon bekannt machen. Er war einer der vier Überlebenden der Belagerung von Cawnpore und wurde in der Folge verwundet, als er

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