Tödliche Täuschung
schützen versuchte, den er nicht abwehren konnte. Er schien keinen Funken Kampfbereitschaft mehr in sich zu haben, ja nicht einmal Hoffnung. Rathbone hatte selten einen Mandanten gehabt, der seine Bemühungen so vereitelt hatte wie er. Selbst Zorah Rostova, die gleichermaßen entschlossen gewesen war, einen scheinbar hoffnungslosen Fall durchzufechten, war von der leidenschaftlichen Überzeugung gewesen, im Recht zu sein , - sie hatte allen Mut der Welt besessen, um für ihre Sache zu kämpfen.
»Melville!«, sagte Rathbone scharf und beugte sich zu ihm hinunter.
Melville drehte sich um. Sein Gesicht war sehr blass.
»Um Gottes willen!«, bedrängte Rathbone ihn. »Sagen Sie es mir, wenn Sie irgendetwas über Zillah Lambert wissen! Ich werde es vor Gericht nicht benutzen, aber ich könnte Sacheverall dazu bringen, mit seinen Mandanten zu reden. Gibt es irgendetwas, wovon Sie wissen und Zillahs Vater nicht? Schützen Sie sie vor irgendetwas?«
Melville lächelte, und in der Tiefe seiner leuchtend blauen Augen blitzte so etwas wie ein Lachen auf. »Nein.«
»Wenn sie es wert ist, dass Sie sich ihretwegen ruinieren, dann wird sie es nicht zulassen!«, fuhr Rathbone fort und rückte noch ein wenig näher an ihn heran. »So, wie die Dinge liegen, können Sie nämlich nicht gewinnen!« Er legte Melville eine Hand auf den Arm und spürte, wie der andere zusammenzuckte.
»Sie können die Augen nicht länger vor der Realität verschließen. Spätestens heute oder morgen wird Sacheverall zum Abschluss kommen, und ich habe nichts in der Hand, womit ich Sie verteidigen könnte. Sagen Sie mir einfach die Wahrheit! Vertrauen Sie mir!«
Melville lächelte, und seine Stimme war sehr leise. »Es gibt nichts, was ich Ihnen sagen könnte. Ich scheine Sie vor eine unmögliche Aufgabe gestellt zu haben. Es tut mir Leid.«
Er kam nicht weiter, weil Sacheverall gerade durch den Saal ging. Er hatte die Lippen leicht geschürzt und hielt den Kopf hoch erhoben: selbst sein Gang wirkte großspurig. Er strahlte eine noch größere Selbstzufriedenheit aus als an dem Nachmittag, an dem das Gericht sich vertagt hatte. Schließlich ließ er sich auf seinem Platz nieder. Einen Augenblick später rief der Gerichtsdiener die im Saal Anwesenden zur Ordnung. Der Raum war immer noch halb leer.
McKeever nahm nun ebenfalls seinen Platz ein.
»Mr. Sacheverall?«, fragte er. Sein Gesicht zeigte keine Regung, und seine sanften blauen Augen blickten neugierig und unschuldig. Wenn er zu irgendwelchen Schlüssen gekommen war, so ließ er sich nichts anmerken.
Sacheverall erhob sich. Er lächelte. Seine ganze Haltung drückte Zuversicht aus.
»Ich rufe Isaac Wolff in den Zeugenstand«, sagte er deutlich. Er drehte sich halb zu Melville um. Diese Geste war ein Zeichen dafür, wie sicher er sich seiner Sache war.
»Wer ist Wolff?«, fragte Rathbone Melville leise.
»Ein Freund«, erwiderte Melville, ohne den Kopf zu wenden.
»Von wem? Von Ihnen oder von Lambert?«
»Von mir. Lambert hat ihn, soweit ich weiß, nie kennen gelernt.« Seine Stimme war so leise, dass Rathbone Mühe hatte ihn zu verstehen.
»Warum ruft Sacheverall ihn dann in den Zeugenstand?«, verlangte Rathbone zu wissen. Sacheverall bluffte nicht. Das konnte man an seinem ganzen Auftreten sehen.
»Ich weiß nicht«, antwortete Melville und hob den Blick ein wenig, um zu verfolgen, wie ein hoch gewachsener Mann mit düsterer Miene durch den Saal ging und die Stufen zum Zeugenstand hinaufstieg. Er wandte sich dem Gericht zu und starrte Sacheverall an. Seine Augen unter den geraden Brauen schienen schwarz zu sein, und sein volles Haar, das ihm seitlich über die Schläfen fiel, war so dunkel wie Kohle. Es war ein leidenschaftliches, faszinierendes Gesicht, und der Mann, dem es gehörte, musterte Sacheverall mit einer Mischung aus Argwohn und Abneigung. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, dass er freiwillig den Zeugenstand betreten hätte.
»Mr. Wolff«, begann Sacheverall, der den Augenblick voll auskostete. »Sind Sie mit Mr. Killian Melville, dem Angeklagten in diesem Fall, bekannt?«
»Ja.«
Rathbone sah zu den Geschworenen, um ihre Reaktion zu beobachten. Sie zeigten kaum Interesse. Sie hatten keine Erfahrung mit den Strategien der Prozessführung, sodass sie Sacheveralls Zuversicht nicht verstanden.
»Kennen Sie sich gut, Sir?« Sacheveralls Stimme war sanft, und er lächelte, während er sprach.
Ein Ausdruck verhaltenen Ärgers huschte über Wolffs Gesicht, aber seiner
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