Tödliche Täuschung
Situation zweifellos verbessern würde.
Barton Lambert hatte sich kaum an dem Gespräch beteiligt und die Hände tief in den Taschen vergraben. Zwei oder dreimal blickte er zu Rathbone hinüber, als wolle er ihn ansprechen. Seine Haltung verriet Bekümmerung, und Rathbone vermutete, dass er die ganze Angelegenheit bedauerte. Seine Zuneigung zu Melville war echt gewesen. Sie ließ sich nicht durch irgendeine Enthüllung zerstören, ganz gleich welcher Art. Gefühle erfahren in solch kurzer Zeit selten eine wirklich grundlegende Wendung. Die Wunde war noch frisch, und man sah es ihm an. Er war insofern ein ungewöhnlicher Mann, als er nicht versuchte, seinen Schmerz hinter Zorn zu verbergen.
Sein Benehmen nötigte Rathbone Achtung ab. Vielleicht hatte Zillah ihren Charakter doch nicht allein von ihrer Mutter geerbt.
Rathbone verließ das Gericht und trat in den strahlenden Nachmittag hinaus, wo Sonnenschein und Wind einen klaren Abend versprachen. Die Dämmerung würde erst nach acht einsetzen. Die Nacht würde schnell vorüber sein. Wenn Monk bis Morgen nicht irgendetwas herausfand, würde er Zeugen aufrufen müssen, einfach um Zeit zu gewinnen. Aber Zeugen wofür?
Er ging energisch auf einen Hansom zu, änderte dann aber seine Meinung und beschloss, zu Fuß zu gehen, bis er zumindest einem Teil seines Ärgers Luft gemacht hatte.
Er hatte auswärts zu Abend gegessen, und es war fast neun Uhr, als er in seine Wohnung kam und sein Kammerdiener ihm die Abendzeitungen reichte.
»Es tut mir Leid«, entschuldigte er sich.
Rathbone sah sofort, was diese Bemerkung und den bekümmerten Ausdruck auf dem melancholischen Gesicht des Dieners ausgelöst hatte. Die Schlagzeilen waren schauerlich und vulgär und trieben die Spekulationen noch weiter. Weder an Melville noch an Isaac Wolff wurde ein gutes Haar gelassen. Nicht einmal Zillah entkam den obszönen Anspielungen. Sie war der Katalysator selbstgerechter Empörung, aber die Details der Berichterstattung ließen erkennen, dass niemand einen Gedanken an ihre Gefühle verschwendet hatte.
Rathbone war zu rastlos, um zu Hause zu bleiben, und von einem Zorn erfüllt, der körperliche Betätigung verlangte.
Er nahm Mantel, Hut und Stock - und machte sich dann auf den Weg zu Monk.
Dieser jedoch war nicht zu Hause, und es hatte keinen Sinn, in seinem leeren und ziemlich kalten Zimmer auf ihn zu warten, obwohl seine Vermieterin es ihm angeboten hatte. Er verabschiedete sich und ging in seinen Klub.
Dort saß er fast eine Stunde lang grübelnd über einem Malzwhisky und versuchte einen kreativen Gedanken zu fassen , bis ein alter Freund sich zu ihm setzte und einen neuen Whisky mitbrachte, da Rathbone sein Glas inzwischen fast geleert hatte.
»Abscheuliche Sache«, sagte er mitfühlend. »Man weiß nie, wo man auf diese Mistkerle trifft, nicht wahr?«
Rathbone blickte auf. »Was sagten Sie?«
»Man weiß nie, wo man auf diese Mistkerle trifft«, wiederholte der Mann. Sein Name war Boothroyd, und er war ein auf Familienrecht spezialisierter Anwalt.
»Was für Mistkerle?«, fragte Rathbone gereizt.
»Die Homosexuellen.« Boothroyd schob das Glas, das er Rathbone hingestellt hatte, über den Tisch. »Um Himmels willen, zieren Sie sich nicht! Da ist jetzt ohnehin nichts mehr zu retten. Sie sind zweifellos wütend auf sich selbst, weil Sie’s nicht erraten haben, aber andererseits waren Sie immer schon ein klein wenig naiv, mein lieber Junge. Sie hatten immer nur die großen Verbrechen im Kopf, Mord, Brandstiftung und Diebstahl im großen Stil, keine schmutzigen kleinen Schlafzimmergeschichten.«
Rathbones Gedanken gerieten in Aufruhr, als ihm klar wurde , dass Boothroyd in einem Punkt Recht hatte: Er hätte selbst darauf kommen müssen. Gleichzeitig aber empfand er Zorn über die Selbstgefälligkeit des Mannes.
Er sah Boothroyd an und ignorierte den Whisky.
»Ich habe mir wahrscheinlich eingebildet, dass das, was ein Mann in seinem Schlafzimmer tut - vorausgesetzt, es kommt niemand zu Schaden - seine eigene Angelegenheit ist«, sagte er sehr klar und deutlich.
Boothroyd fuhr überrascht auf. Seine hervortretenden Augen weiteten sich vor Verblüffung.
»Wollen Sie damit sagen, Sie können Homosexualität gutheißen?«, fragte er mit einer scharfen Betonung des entscheidenden Wortes.
»Es gibt viele Dinge, die ich nicht gutheißen kann«, antwortete Rathbone mit einer Bedachtsamkeit, die sein kühles Verhalten noch unterstrich. »Ich kann nicht gutheißen, wenn ein Mann
Weitere Kostenlose Bücher