Tödliche Therapie
unangenehm schnell zu schlagen, und
ich bemerkte, wie meine Hände kalt und feucht wurden. Lotty hing ihren eigenen
Gedanken nach, aber Max nahm meine Hand und drückte sie freundlich. An der
Saaltür, wo zwei fröhliche junge Frauen Namensschilder verteilten, kümmerte er
sich um unsere. Über die vielen Leute hinweg konnte ich Peter und Alan
Humphries vorne im Saal in einer kleinen Gruppe von Männern ausmachen. Peters
Haar war glatt zurückgekämmt, sein Gesicht weiß und angespannt. Er stand steif
und aufrecht da und beteiligte sich nicht am Gespräch der Männer.
Als Max unsere Namensschilder und Programme
ergattert hatte, nahmen wir verstohlen im hinteren Teil des Auditoriums Platz.
Ich hoffte inständig, daß das Scheinwerferlicht Peter blenden würde, wenn er
ins Publikum sah, obwohl die Sichtverhältnisse auf die Bühne und von der Bühne
dank der gelungenen Konstruktion des Saales hervorragend waren. Rawlings
rutschte nervös zu meiner Linken auf seinem Sitz herum. Seine dunkle Sportjacke
aus einem Kunstfasergemisch stach unter den Sechshundert-Dollar-Anzügen heraus.
„>Die Behandlung von Fruchtwasserembolien<“ murmelte er ungläubig. „Wo
haben Sie mich da bloß hingeschleppt, Warshawski?“
Ich konnte vor Aufregung kaum sprechen. „Warten Sie
ein paar Minuten.“
Ich studierte das Programm. „Begrüßung“ durch Alan
Humphries, Verwaltungsdirektor von Friendship V. „Einführung“ von Dr. Peter
Burgoyne, Chefarzt der Entbindungsstation des Friendship V. Danach sollten
sechs Vorträge über die Behandlung von Fruchtwasserembolien von Kapazitäten auf
diesem Gebiet folgen. Nach der Mittagspause waren Fallstudien und Gruppendiskussionen
geplant. Das Ende war für fünfzehn Uhr vorgesehen, damit die Teilnehmer noch
vor dem nachmittäglichen Verkehrsstau nach Hause kämen. Ich las, daß sich die
Tagungsgebühren auf zweihundert Dollar pro Person beliefen, und lehnte mich
über Lotty zu Max hinüber, um ihn darauf aufmerksam zu machen. Er schüttelte
lächelnd den Kopf, hatte also die Gebühren nicht bezahlt.
Um zwanzig nach neun war der Saal zu zwei Dritteln
gefüllt. Die große Mehrheit des Publikums bestand aus Männern, und Rawlings war
der einzige Schwarze. Mit einem Lächeln und einer entsprechenden Handbewegung
veranlaßte Humphries die Männer, mit denen er sich unterhalten hatte, Platz zu
nehmen, und betrat das Podium. Peter setzte sich in die erste Reihe.
„Tag, ich bin Alan Humphries, der
Verwaltungsdirektor des Friendship Hospital. Ich möchte Sie hier an diesem
wunderschönen Tag willkommen heißen, an dem Sie sicherlich lieber auf dem
Golfplatz wären - das heißt, auf Visite bei Ihren Patienten.“ Lautes
Gelächter. Ein kurzer Witz über einen Assistenzarzt auf der
Entbindungsstation, ein paar ernste Worte zu den Schwierigkeiten,
Fruchtwasserembolien zu behandeln, ein geschickt eingeflochtener PR-Hinweis
über Friendships Engagement für die Patienten, und dann stellte Humphries
Peter vor. „Ich nehme an, die meisten von Ihnen kennen ihn - seine Erfahrung
und Hingabe, was Risikoschwangerschaften und Entbindungen angeht, haben sich
herumgesprochen und sind heutzutage nur noch selten zu finden. Das Friendship
schätzt sich überaus glücklich, ihn zu seinem Ärztestab zählen zu dürfen.“
Es wurde höflich geklatscht, als Peter aufstand und
auf das Podium ging. Humphries nahm auf Peters Sitz Platz. Die Lichter gingen
aus, und der Projektor warf das erste Dia auf die Leinwand: eine Luftaufnahme
des Krankenhauses mit dem Friendship-Schriftzug darüber. Der Knoten in meinem
Magen war so fest, daß ich wünschte, nicht gefrühstückt zu haben.
Mit Hilfe einer Fernbedienung ließ Peter die Dias
durchlaufen und kam schnell zu den Kernpunkten seines Vortrags. Er begann mit
einer Statistik über die häufigsten Krankheiten während einer Schwangerschaft
zwischen 1980 und 1985. Dann kündigte er das nächste Dia an, das alle
Todesfälle mit bekannter Ursache aufführte. Während er sprach, herrschte zuerst
absolute Stille im Publikum. Plötzlich lief ein Gemurmel durch den Saal wie
ein Vogelschwarm, der sich aus einem Kornfeld erhebt. Er hielt inne, um auf die
Leinwand zu sehen, und blickte auf seine eigene, riesenhaft vergrößerte Handschrift.
„Um 14.58 Uhr Patientin gesehen... In Abwesenheit
von Dr. Abercrombie wurde die Entscheidung getroffen, eine sofortige
Behandlung mit Mg. sulf. intravenös anzusetzen; 4 mg pro Stunde. Um 15.30
erneut Patientin aufgesucht, die immer noch
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