Tödliche Therapie
ihrer
ersten Tasse Kaffee und der New York
Times saß. Lotty treibt keinen Sport.
Sie hält sich durch schiere Willenskraft in Form - kein Muskel würde es wagen,
unter ihrem gestrengen Blick zu erschlaffen. Sie hat jedoch rigorose
Vorstellungen, was Ernährung anbelangt - ihr Frühstück besteht zu jeder
Jahreszeit unweigerlich aus frisch gepreßtem Orangensaft und einer Portion
Müsli. Sie hatte bereits gefrühstückt, Schüssel und Glas standen ordentlich
gespült auf dem Trockengestell. Ich schenkte mir eine Tasse Kaffee ein und
setzte mich zu ihr an den Tisch. Sie ließ die Zeitung sinken und sah mich an.
„Alles in Ordnung?“
Ich lächelte. „Ja, mir geht's gut. Nur mein Ego ist
ein bißchen angekratzt. Ich mag es nicht, eine Affäre mit jemandem zu haben,
der mich nur benutzt. Ich dachte, meine Menschenkenntnis würde das
verhindern.“
Sie tätschelte meine Hand. „Du bist auch nur ein
Mensch, Victoria. Ist das so schlimm? Was hast du heute vor?“
Ich verzog das Gesicht. „Abwarten und Tee trinken.
Rawlings fragen, ob er mit zur Konferenz im Friendship kommt. Oh, es gibt
etwas, was du tun könntest. Kannst du dafür sorgen, daß Mr. Contreras erst
nach dem Wochenende entlassen wird? Seine Tochter will, daß er zu ihr zieht,
raus aus der gefährlichen Stadt. Er will natürlich nicht und hat Angst, daß
die Ärzte darauf bestehen. Ich habe ihm angeboten, er könne zu mir kommen, wenn
er jemand braucht, der sich um ihn kümmert, aber ich will mir nicht ständig
Sorgen machen, daß er Sergio Rodriguez über den Weg läuft, während ich weg
bin.“
Sie versprach, sich während ihrer morgendlichen
Visite darum zu kümmern. Bevor sie in die Praxis fährt, macht sie jeden Morgen
Besuche im Beth Israel. Sie blickte auf ihre Uhr, verabschiedete sich und
stürmte los. Ich wanderte bedrückt in Lottys Wohnung umher. Auch nur ein
Mensch? Vielleicht hatte Lotty recht. Wenn ich lernte, meine eigenen Unzulänglichkeiten
zu akzeptieren, könnte ich möglicherweise besser mit anderen Menschen umgehen.
Das klang gut - wie aus einem Buch Leo Buscaglias. Aber ich war nicht davon
überzeugt.
Ich ging zu Lottys Praxis, holte meinen Wagen und
fuhr dann nach Hause. Um zehn rief Max' Sekretärin an, um mir mitzuteilen, daß
fünf Plätze für die Tagung am Freitag reserviert wären. „Er hat Sie als Viola
da Gamba angemeldet.“ Sie buchstabierte den Namen unsicher. „Ist das richtig?“
„Ja“, sagte ich grimmig. „Hoffen wir, daß die so
dumm sind, wie er glaubt. Welchen Namen hat er Lotty verpaßt?“
Sie klang noch unsicherer. „Domenica Scarlatti.“
Ich beschloß, daß meine Nerven keine weitere
Zusammenarbeit mehr mit Max durchstehen würden, sagte der Sekretärin, sie
solle ihm meinen Dank ausrichten und ihn daran erinnern, daß man sich
bisweilen ins eigene Fleisch schneiden könnte.
„Ich werd's ihm sagen. Die Tagung wird im Stanhope
Auditorium im zweiten Stock des Krankenhauses stattfinden. Wissen Sie, wo das
ist?“
Ich bejahte und legte auf. Dann rief ich Rawlings
an.
„Sie wünschen, Ms. Warshawski?“
„Haben Sie am Freitag Zeit?“ fragte ich so
nonchalant wie möglich. „Für einen kleinen Ausflug aufs Land?“
„Worauf wollen Sie hinaus, Warshawski?“
„Am Freitag wird in Schaumburg eine Tagung
abgehalten. Ich glaube, es wird einige interessante Krankheits- und Sterblichkeitsstatistiken
zu sehen geben.“
„Krankheit und Sterblichkeit? Sie wollen mich wohl
auf die Schippe nehmen? Nein, nein, ich weiß, Sie meinen es ernst. Sie wissen
etwas über Fabiano Hernandez' Tod. Sie haben Beweise und verheimlichen sie mir,
das ist ein Schwerverbrechen, Warshawski, und das wissen Sie ganz genau.“
„Ich verheimliche Ihnen nichts.“ Tatsächlich hatte
ich Fabiano vergessen. Ich überlegte einen Augenblick, um ihn in meine
Gleichung einzubauen, aber es gelang mir nicht. Vielleicht hatte Sergio ihn
erschossen, weil er dachte, Fabiano hätte ein falsches Spiel mit ihm getrieben.
„Es geht um Malcolm Tregiere. Und ich weiß nichts mit Bestimmtheit, es sind
bloß Vermutungen. Man wird dort ein Paper präsentieren, das vielleicht,
vielleicht aber auch nicht, die Wahrheit ans Tageslicht bringt über das, was
ihm zugestoßen ist.“
Rawlings schnaufte heftig. „Vielleicht, vielleicht
aber auch nicht? Und wie könnte die Wahrheit aussehen? Oder auch nicht?“
„Deshalb habe ich gedacht, daß Sie mit nach
Schaumburg kommen wollen. Auf gut Glück habe ich Sie für die Tagung anmelden
lassen. Sie
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