Tödliche Therapie
Wenn meine Leiche
morgen auf der Müllkippe liegt, wird dir nicht einmal dein geschniegeltes
Sprachrohr von Rechtsanwalt Ärger ersparen können.“
„Ich will dich nicht umbringen, Warshawski. Ich
habe keinen Grund dazu. Ich will nur, daß du deine Nase nicht in meine
Angelegenheiten steckst. Setz dich auf ihre Beine, Eddie.“
Tattoo kam der Aufforderung nach.
„Ich will dich nicht ruinieren, für den Fall, daß
du noch einen Mann kriegst, Warshawski. Ich werde dir nur eine kleine
Erinnerung mit auf den Weg geben.“
Er zog ein Messer, lächelte engelhaft, kniete
nieder und hielt es mir nah ans Auge. Mein Mund war ausgetrocknet, und ich
zitterte vor Kälte. Schock, dachte ich, das ist der Schock. Ich zwang mich,
konzentriert zu atmen, tief einzuatmen, den Atem fünf Sekunden anzuhalten,
auszuatmen. Und ich zwang mich, die Augen nicht zu schließen, Sergio
anzustarren. Durch den Schleier von Angst sah ich, daß er gereizt war; ich
schien nicht erschrocken genug. Dieser Gedanke munterte mich auf und half mir,
gleichmäßig zu atmen. Seine Hand bewegte sich weg von meinem Auge aus meinem
Blickfeld. Dann stand er wieder.
Ich spürte einen stechenden Schmerz in der linken
Kieferhälfte und am Hals, aber der Schmerz in meinen gefesselten Armen war
stärker als jede andere Empfindung.
„Warshawski, komm mir nie wieder unter die Augen.“
Sergio atmete schwer und schwitzte.
Tattoo riß mich hoch. Gemäß dem ausgefeilten Ritual
wurde die Tür aufgeschlossen. Mit noch immer gefesselten Händen führte man mich
durch das leere Zimmer und die Ladentür hinaus auf die Washtenaw Avenue.
8 Flickwerk
Es war weit nach Mitternacht, als ich die
Eingangstür meines Hauses aufschloß. Das Blut auf meinem Gesicht und meinem Hals
war geronnen; das beruhigte mich. Ich wußte, daß ich zu einem Arzt gehen, meine Wunden fachmännisch versorgen lassen
sollte, damit keine Narben zurückblieben, aber eine unendliche Müdigkeit hatte
von mir Besitz ergriffen. Alles, was ich wollte, war, ins Bett zu gehen und nie
wieder aufzustehen, mich nie wieder auf irgendeine Sache einzulassen.
Als ich auf die Treppe zusteuerte, ging die Tür der
Erdgeschoßwohnung auf. Mr. Contreras kam heraus.
„Ach, Sie sind's. Ich hab mir schon zwanzigmal
überlegt, ob ich die Polizei rufen soll.“
„Ich glaube, die hätten nicht viel für mich tun
können.“ Ich begann, die Treppe hinaufzusteigen.
„Sie sind ja verletzt! Ich hab's erst gar nicht
gesehen - was haben die mit Ihnen gemacht?“
Er kam hinter mir die Treppe hoch. Ich blieb stehen
und wartete auf ihn. Meine Hand berührte das getrocknete Blut auf meinem
Gesicht. „Es ist nichts, wirklich. Sie waren betrunken. Die Sache ist
kompliziert. Der Typ hatte seit Jahren 'ne Wut auf mich.“ Ich lachte leise.
„Damals glaubte ich, ich helfe diesem Schläger, wenn ich ihm eine Strafe
erspare, die er eigentlich verdient hätte. Um ihm zu helfen, hab ich meinen Haß
auf ihn und seine Ansichten hinuntergeschluckt. Aber er glaubte, daß ich ihn
verachtet und gezwungen habe, zwei Jahre abzusitzen. Das ist alles.“
Mr. Contreras ging nicht darauf ein. „Wir müssen
Sie zu einem Arzt bringen. So können Sie nicht rumlaufen. Ach, hätte ich nur
nicht so lange gewartet. Hätte ich nur gleich die Polizei gerufen.“
Seine rauhen, starken Hände zerrten mich hartnäckig
die Treppe wieder hinunter und in seine Wohnung. Sein Wohnzimmer war mit
alten, ramponierten Möbeln eingerichtet. Eine riesige Truhe, mit einem Leintuch
bedeckt, stand in der Mitte des Raums. Wir gingen um sie herum zu einem
senffarbenen, dick gepolsterten Lehnstuhl. Er ließ mich hinsetzen und brabbelte
dabei ununterbrochen vor sich hin.
„Wie sind sie nur allein nach Hause gekommen,
Mädchen? Warum haben Sie nicht angerufen - ich hätte Sie geholt.“ Er ging
hinaus und kehrte nach kurzer Zeit mit einer Decke und einem Glas heißer Milch
zurück. „Ich hab 'ne Menge Unfälle erlebt, als ich noch Schlosser war. Sie
müssen sich warmhalten und dürfen keinen Alkohol trinken... Jetzt holen wir
einen Arzt. Wollen Sie rüber ins Krankenhaus, oder kennen Sie jemand, den ich
rufen soll?“
Ich fühlte mich weit entfernt. Ich konnte nicht
antworten, nicht klar denken. Arzt oder Krankenhaus? Ich wollte weder das eine
noch das andere. Ich hielt das Glas Milch in der Hand und sagte nichts.
„Hören Sie, Schätzchen.“ Er klang etwas
verzweifelt. „Ich bin nicht mehr so kräftig wie früher. Ich kann Sie nicht
bewußtlos
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