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Tödliche Therapie

Tödliche Therapie

Titel: Tödliche Therapie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretzky
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schlagen und dann wegtragen. Sie müssen schon mithelfen.
    Na los, reden Sie, Mädchen. Oder soll ich einfach
die Polizei rufen? Das sollte ich sowieso, ich weiß. Warum frage ich sie
überhaupt? Ich sollte sie einfach rufen.“
    Das machte mich wacher. „Nein, warten Sie. Nicht
die Polizei, noch nicht. Ich kenne eine Arztin. Rufen Sie sie an. Sie wird
kommen.“ Ich hatte Lottys Nummer so oft gewählt, ich kannte sie besser als
meine eigene. Warum fiel sie mir jetzt nicht ein? Ich überlegte angestrengt und
runzelte die Stirn. Ein stechender Schmerz durchfuhr meinen Kiefer.
Schließlich sagte ich hilflos: „Sie müssen sie nachschlagen. Sie steht im
Telefonbuch. Lotty Herschel. Ich meine, Charlotte Herschel.“
    Ich lehnte mich im Sessel zurück, hielt das Glas
Milch fest. Die Wärme tat meinen kalten Händen gut. Laß das nicht fallen. Das
ist Papas Kaffee. Er trinkt ihn am liebsten, während er sich rasiert. Trag ihn
vorsichtig. Er mag es, wenn sein kleines Mädchen ihm den Kaffee bringt. In
seinem eingeschäumten Gesicht siehst du die Fältchen um die Augen. Du weißt, er
lächelt, lächelt, weil er dich sieht. Mutter sagt Papa, er solle eine Lampe
holen, ihr kleines Mädchengesicht damit beleuchten. Irgend etwas ist passiert.
Ein Sturz, richtig, sie ist vom Fahrrad gefallen. Mutter macht sich Sorgen.
Eine Gehirnerschütterung. Ein böser Sturz. Jod brennt auf abgeschürfter Haut.

Ich wachte auf. Lotty säuberte mein Gesicht, sie
runzelte konzentriert die Stirn. „Ich gebe dir eine Tetanusspritze, Vic. Und
ich bring dich ins Beth Israel. Es ist keine gefährliche Schnittwunde, aber
ziemlich tief. Ich will, daß sie sich ein plastischer Chirurg ansieht, daß sie
ordentlich genäht wird, damit keine Narben bleiben.“
    Sie holte eine Spritze aus ihrer Tasche, tupfte
meine Armbeuge ab und stach zu. Ich stand auf, sie legte stützend ihren Arm um
meine Taille. Mr. Contreras hielt mir eine blaue Wildlederjacke entgegen, die
mir bekannt vorkam.
    „Ich hab ihre Schlüssel genommen und bin rauf in
ihre Wohnung gegangen“, erklärte er.
    Meine Arme schmerzten immer noch. Es schmerzte, in
die Jackenärmel zu schlüpfen, und ich nahm seine Hilfe dankbar an. Er
begleitete mich behutsam aus dem Haus bis zu Lottys Datsun, blieb dann auf dem
Gehsteig stehen und sah zu, wie Lotty den Gang einlegte und losbrauste. Ihr
irres Tempo bedeutete nicht, daß mein Zustand bedenklich war - sie fährt immer
wie eine Wahnsinnige.
    „Was ist passiert? Der alte Mann sagt, du hast dich
mit irgendwelchen Gangstern getroffen.“
    Ich verzog das Gesicht, und stechende Schmerzen
durchzuckten meine linke Gesichtshälfte. „Fabiane Oder einer seiner Kumpel.
Du wolltest doch, daß ich mich um den Mord an Malcolm kümmere. Das hab ich
getan.“
    „Allein? Du ziehst alleine los und hinterläßt eine
Nachricht für Lieutenant Mallory? Was ist in dich gefahren?“
    „Danke für dein Mitgefühl, Lotty. Ich kann's
wirklich gebrauchen.“ Eine Sturzflut von Bildern schoß mir durch den Kopf -
Sergio, ich als die böse Hexe, die sich in einen Wurm verwandelt, mein Grauen
in dem kleinen Hinterzimmer und eine nagende Angst, daß mein Gesicht für immer
verunstaltet wäre. Es fiel mir schwer, mich auf das Gespräch zu konzentrieren,
weil mich eine bleierne Müdigkeit überwältigte. Ich zwang mich zu reden. „Ich
hab's dir ja gesagt - eine Sache für die Polizei.“
    „Was wolltest du eigentlich damit beweisen, einfach
allein loszuziehen, statt der Polizei mitzuteilen, was du weißt. Manchmal bist
du unerträglich!“ Lottys Wiener Dialekt machte sich bemerkbar, wie immer, wenn
sie sich aufregte.
    „Ja, wahrscheinlich hast du recht.“ Das Stechen in
meinem Gesicht vermischte sich mit dem Pochen in meinen Schultern zu einem
gewaltigen weißen Trommelwirbel von Schmerz. Es wurde schlimmer, wenn der Wagen
über ein Schlagloch fuhr, und ließ anschließend ein wenig nach. Auf und ab. Wie
ein Riesenrad. Einen Augenblick lang dachte ich, ich säße in einem Riesenrad,
aber das stimmte nicht. Ich war auf dem Weg ins Krankenhaus. Meine Mutter war
krank. Vielleicht würde sie sterben, aber Vater und ich waren tapfer. Nachdem
wir die High-School Basketball-Meisterschaft gewonnen hatten, kippten die
Mädchen der Mannschaft und ich heimlich ein paar Whiskeys. Uns wurde
hundeelend. Jetzt mußte ich zurück zu meiner Mutter. Ich mußte wach und
fröhlich sein, nicht wehleidig und verkatert.
    „Ich glaub, ich bin auch manchmal ziemlich dumm.“
Die scharfe

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