Tödliche Therapie
eingefallen.“
Wir standen vor Max' Bürotür und warteten, bis er
sie aufgeschlossen und das Licht angemacht hatte. Sein Büro war ein gemütlich
eingerichtetes Zimmer und hatte nichts von der luxuriösen Aufdringlichkeit
seines Gegenstücks im Friendship. Auf dem Boden lag ein alter, an einigen
Stellen verschlissener Perserteppich, der Schreibtisch war von den vielen
Jahren Arbeit zerkratzt, in den Regalen standen neben Büchern über
Krankenhausverwaltung und -finanzierung viele Kunstbände über den Orient, die
er begeistert sammelte.
Lotty setzte sich auf die ausgeblichene Couch, um
Malcolms Bericht zu Ende zu lesen. Murray beobachtete sie gespannt, als ob er
den Inhalt von ihrem Gesicht ablesen könnte. Ich fühlte mich erschöpft von dem
vielen Wein, dem wenigen Essen und meinen unschönen Gedanken über Peter
Burgoyne, setzte mich in einen Lehnstuhl etwas abseits von den anderen und
schloß die Augen. Ich öffnete sie auch nicht, als Lotty endlich zu sprechen
begann.
„Es steht alles hier. Sie haben sie fast eine
Stunde lang nicht behandelt. Als du ihnen gesagt hast, daß Malcolm unterwegs
sei, haben sie mit dem Magnesiumsulfat angefangen, Vic. Er schreibt, sie hätten
behauptet, ihr Ritodrine zu verabreichen. Das hat er mir auch am Telefon
gesagt. Aber er traf kurz nach ihrem ersten Herzstillstand ein und machte sich
Gedanken, was ihn verursacht hatte. Deswegen rief er, als er zurück im Beth
Israel war, die Oberschwester an, und hat von ihr die Wahrheit erfahren. Sie schien
besorgt über Consuelos Zustand und schüttete ihm ihr Herz aus... Abercrombie
kam kurz bevor Malcolm wieder fuhr. Um sechs.“
„Abercrombie?“ fragte Murray.
„Ja. Sie wissen nicht, wer das ist, oder? Er ist
der Perinataloge, von dem sie in ihrer Werbebroschüre behaupten, er gehöre zum
Krankenhauspersonal. Tatsächlich arbeitet er im Outer Suburban, diesem riesigen
Universitätskrankenhaus in Barrington. Er springt nur in Notfällen im
Friendship ein.“
Eine Weile sagte niemand etwas. Dann riß ich mich
zusammen, richtete mich auf, dachte nach und öffnete die Augen. „Haben Sie
einen Safe?“ fragte ich Max. Er nickte. „Diese Papiere sollten an einem
sicheren Platz aufbewahrt werden. Aber vorher müssen wir sie fotokopieren.
Murray, kannst du Dias von Malcolms Bericht und Burgoynes Notizen machen?“
„Das habe ich schon geahnt“, sagte er. „Es wird ein
Vermögen kosten. Pro Seite vier Bilder, damit der Text lesbar ist, und das
innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Laß mich kurz rechnen... Hast du
sechshundert Dollar, Warshawski?“
Hatte ich nicht, und das wußte er ganz genau. Max
kam mir zu Hilfe. „Die Dias kann ich hier in unserer Dunkelkammer machen
lassen, Ryerson.“
Ich stand auf. „Danke, Max. Ich fahre jetzt nach
Hause. Es war ein langer Tag, und ich kann nicht mehr denken.“
„Du kommst mit mir, meine Liebe“, entschied Lotty.
„Du wirst nicht mehr Auto fahren. Und außerdem, was willst du denn in deiner
demolierten Wohnung anfangen? Und vielleicht wird noch einmal eingebrochen,
weil man noch mehr Beweismaterial bei dir vermutet. Bei mir bist du sicher.“
Niemand konnte sich sicher fühlen, wenn ihm eine
Autofahrt bei Nacht mit Lotty bevorstand, aber ich nahm ihr Angebot dankbar
an. Wir warteten, während Max die Papiere kopierte. Hinter seinem Schreibtisch
befand sich ein kleiner Wandsafe; er nannte ihn eine „absurde Antwort auf die
steigende Kriminalitätsrate“, aber heute war er nützlich.
Murray, der nach den Papieren lechzte wie ein
Bluthund, nahm die Kopien. Beinahe hätte ich gelacht, als ich die Enttäuschung
auf seinem Gesicht bemerkte, während er versuchte, sie zu lesen. Nichts
vermittelt einem so stark das Gefühl der eigenen Unwissenheit als der
Fachjargon einer anderen Profession.
„Verdammt“, sagte er zu Max. „Wenn Sie und Lotty
nicht schwören würden, daß es sich hierbei um höchst decouvrierende Dokumente
handelt, würde ich selbst nie auf die Idee kommen. Ich hoffe, daß unsere Ms.
Warshawski weiß, was sie tut. Ich würde mir nie und nimmer an die Brust
schlagen und ausrufen: >Es tut mir leid, ich habe Malcolm Tregiere umgebracht,
wenn mir jemand diese Papiere unter die Nase hielte.<
„Ist es dann nicht besser, daß du mit deiner
Geschichte wartest, bis wir alle Beweise zusammenhaben? Außerdem glaube ich
nicht, daß Peter Burgoyne Malcolm getötet hat. Ich weiß nicht, wer es war.“
Murray heuchelte Erstaunen. „Es gibt etwas, was du
noch nicht
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