Tödliche Unschuld
sicher im Streifenwagen saß, stieg Eve in ihren eigenen Wagen. Legte ihre Stirn aufs Lenkrad und machte die Augen zu.
»Sind Sie okay, Dallas?«
»Nein, nein, ich bin ganz und gar nicht okay.« Sie riss Dwiers Ausweis und die Waffe aus der Tasche und hielt beides ihrer Assistentin hin. »Versiegeln Sie das Zeug. Ich will es nicht mehr in den Händen halten. Ich habe ihm Straffreiheit versprochen. Ich habe sie ihm zugesagt. Wenn ich ihn einfach festgenommen und beim Verhör genügend auf ihn eingedroschen hätte, hätte ich ihn vielleicht dazu bekommen auszusagen, ohne dass er Immunität erhält. Aber ich habe diesen Deal getroffen, weil er vermutlich halsstarrig gewesen wäre und weil die Zeit nicht reicht, um es auszuprobieren.«
»Der Staatsanwalt hätte dem Antrag doch garantiert nicht zugestimmt, wenn er keine plausiblen Gründe dafür gehört hätte.«
»Es ist vernünftig, ein kleines Stück zu opfern, wenn man dafür den gesamten übrigen Kuchen kriegt. So hat es der Staatsanwalt gesehen. Dwier hat gewusst, dass er es so sehen würde, und ich wünschte mir, ich könnte es genauso sehen. Besorgen Sie mir die Adresse einer gewissen Dru Geller. Ich bin sicher, dass sie aktenkundig ist.«
Sie selber zog ihr Handy aus der Tasche und sprach die nächsten Schritte mit dem Commander ab.
Es dauerte fast eine Stunde, bis alles vorbereitet war. Sie wusste, dass jede Minute kostbar war, aber sie würde keinen weiteren Cop verlieren. O nein, es stürbe nicht noch mal ein Polizist.
»Wir haben keine Ahnung, in was für einem Zustand sich die Frau befindet«, erinnerte sie die von ihr persönlich ausgewählten Mitglieder des Eingreiftrupps. »Wir gehen besser davon aus, dass sie gewaltbereit und eventuell bewaffnet ist. Drei Männer an die Tür, drei Männer an die Fenster. Wir gehen sofort rein. Wir werfen sie zu Boden, fesseln sie und bringen sie ins Krankenhaus. Auf keinen Fall dürfen wir auf sie schießen, nicht mal, wenn der Stunner auf der niedrigsten Stufe steht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Infektion inzwischen so weit ausgebreitet hat, dass ein Schuss mit dem Stunner den Tod der Frau bedeutet, ist zu groß. Wir verwenden also höchstens ein Betäubungsmittel, weiter nichts.«
Sie zeigte auf den Bildschirm, auf dem man einen Grundriss des Apartments sah. »Ihr habt euch mit der Umgebung hinlänglich vertraut gemacht. Wir wissen, dass sie in der Wohnung ist. Wir haben keine Ahnung, wo, aber es ist anzunehmen, dass sie sich ins Schlafzimmer zurückgezogen hat. Während des gesamten Einsatzes bleiben wir in Funkkontakt. Sobald wir die Frau überwältigt haben, wird sie in Begleitung zweier Mitglieder des Teams in das genannte Krankenhaus gefahren, wo bereits ein Ärzteteam in Bereitschaft ist.«
Vielleicht würden sie sie retten, dachte Eve, als sie vor die Tür von Dru Gellers Wohnung trat. Vielleicht aber auch nicht. Falls Dwiers Informationen stimmten, wäre sie in spätestens acht Stunden tot. Morris hatte ihr erklärt, dass die Infektion nach der ersten Ausbreitung irreversibel war.
Neben ihrem eigenen Leben riskierte sie auch das von ihrer Assistentin und von sechs anderen Polizisten, um eine Frau zu retten, die wahrscheinlich sowieso nicht mehr zu retten war.
Sie nahm die Betäubungspistole in die Hand und nickte dem Kollegen zu, damit er den Code für das Schloss der Wohnungstür eingab. »Tür wird geöffnet«, sprach sie leise in ihr Handy. »Wartet auf mein Signal.«
Sie schob die Tür vorsichtig auf.
Es roch nach gammeligem Essen und Urin, die Jalousien vor den Fenstern waren fest geschlossen, sämtliche Lampen waren aus, und Eve hatte das Gefühl, eine Höhle zu betreten.
Sie gab Peabody und einem weiteren Kollegen ein Zeichen, sich nach links zu wenden, und schlich selber in gebückter Haltung schnell nach rechts. »Das Wohnzimmer ist sauber.«
Plötzlich drang ein Knurren an ihr Ohr. Es klang wie das Knurren eines tollwütigen Hundes, der in eine Ecke getrieben worden war. »Wir gehen weiter zum Schlafzimmer.
Behaltet die Fenster im Auge.«
Sie trat lautlos vor die Tür und trat sie nach einem nochmaligen Nicken ein.
Dru Geller stand mit dem Rücken an der Wand. Sie trug nichts als ihre Unterhose und hatte sich die Brüste mit ihren eigenen Fingernägeln aufgekratzt. Auch ihre Nase hatte stark geblutet, und das rote Rinnsal rann über die gebleckten, blutbefleckten Zähne und tropfte von ihrem Kinn.
Dann sah Eve die große Schere in Drus Hand.
Blitzschnell flog die Schere
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