Toedliche Verfolgung
Lissa betrachtete ihn unauffällig von der Seite. Mittelgroß und schlank wirkte er mit grauen Schläfen in den dunklen Haaren und seinem anthrazitfarbenen Anzug nicht wie ein Landesverräter und Mörder. Nur der wütend zusammengepresste Mund und die kalten Augen verrieten ihn. Als würde er ihren Blick spüren, drückte er die Waffe tiefer in ihre Rippen.
»Versuchen Sie nicht, mich hereinzulegen, das würde Ihnen schlecht bekommen.«
Lissa hielt klugerweise den Mund. Alles, was sie sagte, würde den Mann nur noch mehr reizen. Bei einem anderen hätte sie vielleicht versucht, an sein Gewissen zu appellieren, aber sie bezweifelte, dass er so etwas überhaupt hatte. Wenn jemand die Sicherheit von Millionen von Menschen einfach so aufs Spiel setzen konnte, war ihm alles zuzutrauen. Ganz zu schweigen davon, dass er bereits mehrere Menschen hatte ermorden lassen. Ihre Augen glitten suchend über die gegenüberliegende Seite der Schlucht. Sicher würde Jack ihr helfen, sie musste nur so lange durchhalten, bis er hier war.
Was um Himmels Willen trieb Hawk da oben? Er hätte schon längst unten bei Lissa sein müssen. Schließlich hatte der Agent versprochen, dass ihr nichts passieren würde. Aber nun war sie in der Gewalt des Verräters und er, Jack, war zu weit weg, um eingreifen zu können. Er hätte darauf bestehen müssen, bei ihr zu bleiben! Ein Schweißtropfen lief über Jacks Schläfe und tropfte auf sein T-Shirt. Wie gebannt hing sein Blick an Lissas schlanker Gestalt, als sie sich vorsichtig einen Weg nach unten suchte. Selbst wenn er ein Präzisionsgewehr dabei hätte, würde er es nicht wagen, zu schießen, denn Gibson hielt sich immer zwischen Lissa und der Felswand, als wüsste er genau, wo seine Gegner lauerten.
Jack beobachtete durch das Fernglas, wie Hawk auf den Ranger einredete und seine NSA -Marke vor dessen Gesicht schwenkte, bevor er sich endlich mit einem Satz über das Gitter schwang. Erleichtert konzentrierte Jack sich wieder auf Lissa. Die Gruppe war nur etwa hundert Meter von den Ruinen entfernt und lauschte den animierten Worten des Rangers. Wahrscheinlich überbrückte er die Zeit, bis die vorherige Touristengruppe die Überreste der Klippensiedlung verließ und über Holzleitern wieder auf das Plateau kletterte.
Hawk war immer noch hinter den Felsen außer Sicht, die den schmalen Pfad teilweise verbargen. Ungeduldig schwenkte Jack das Fernglas über das Plateau. Die Touristen schienen bisher noch nicht gemerkt zu haben, was im Cliff Palace unter ihnen passierte. Das war auch gut so, denn eine Panik würde alles nur noch schlimmer machen. Auch die Arbeiter, die am oberen Rand der Klippen mit Ausbesserungsarbeiten beschäftigt waren, bemerkten nichts davon. Mit Seilen gesichert hingen sie über dem Abgrund.
Da ertönten von unten auf einmal Schreie. Für einen Moment blieb sein Herz stehen, bevor es in einem schnelleren Rhythmus weiter schlug, als er sah, dass Lissa weiterhin unverletzt war. Einige der Japaner hatten die Waffe entdeckt und waren zurückgewichen. Der Ranger, ein alter Mann, der so aussah, als würde ihn ein etwas stärkerer Wind schon umblasen, trat vor und redete auf Gibson ein. Dieser richtete die Pistole auf ihn und die Touristen. Er sagte etwas, das Jack aufgrund der Entfernung nicht verstehen konnte. Die Gruppe wich noch weiter vor ihm zurück, wurde aber gestoppt, als sie bei der ersten Terrasse der Siedlung ankamen. Niemand wollte dem bewaffneten Mann den Rücken zudrehen, um die hüfthohen Mauern hinaufzuklettern, über die man die nächste Ebene erreichte. Links von ihnen lagen die ersten mehrstöckigen Gebäude, rechts der Abgrund. Es war eine ausweglose Situation. Wie wollte der Verräter fliehen? Jeder halbwegs intelligente Mensch konnte sehen, dass er in der Falle saß. Hinter ihm Hawk und vor ihm eine Gruppe von Touristen. Auch wenn er sie als Geiseln nehmen würde, so könnte er doch niemals entkommen. Das machte Gibson noch gefährlicher, da er nichts mehr zu verlieren hatte.
Noch einmal betrachtete Jack die Bauarbeiter über dem Cliff Palace, dann fasste er einen Entschluss. Er verließ seinen Beobachtungsposten, steckte Fernglas und Hawks Ersatzpistole in den auf dem Motorrad festgezurrten Rucksack, bevor er sich auf die Maschine schwang. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, als er den Motor startete und Gas gab. Es war lange her … Bilder von seiner letzten Fahrt vor über fünf Jahren überfluteten sein Gehirn.
Fahrtwind blies in sein Gesicht,
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