Tödliche Versuchung
tun.«
»Ver-ant-wor-tung«, sagte Habib. »Das hast du aber schön ausgedrückt. Das muss ich mir meckern.«
»Merken«, korrigierte Mitchell ihn. »Das heißt merken.«
»Meckern.«
»Merken!«
»Meckern. Habe ich doch gesagt.«
»Der Turbanständer ist gerade erst nach Amerika gekommen«, klärte Mitchell mich auf. »Vorher war er in einer anderen Funktion für unseren Arbeitgeber in Pakistan tätig. Mit der letzten Lieferung hat er sich selbst hierher verschifft, und jetzt werden wir ihn nicht wieder los. Er ist mit den Gepflogenheiten hier noch nicht vertraut.«
»Ich bin kein Turbanständer«, schimpfte Habib. »Habe ich vielleicht einen Turban auf dem Kopf? Ich lebe jetzt in Amerika, und da trage ich so etwas nicht. Außerdem ist das keine sehr höfliche Ausdrucksweise.«
»Turbanständer«, sagte Mitchell.
Habib kniff die Augen zusammen. »Dreckiger amerikanischer Köter.«
»Speckbauch.«
»Sohn einer Kameltreiberin.«
»Fick dich ins Knie«, sagte Mitchell.
»Sollen dir doch die Eier im Sack abfaulen«, erwiderte Habib. Ich glaube, von den beiden hatte ich nichts zu befürchten, die würden sich über kurz oder lang gegenseitig umbringen. »Ich muss jetzt gehen«, sagte ich. »Mittag essen bei meinen Eltern.«
»Haben Sie es nötig, bei Ihren Eltern Mittagessen zu schnorren?«, sagte Mitchell. »Die Geschäfte laufen wohl nicht so gut. Wir helfen Ihnen da gerne weiter. Wir könnten uns als sehr großzügig erweisen, falls Sie uns das Gewünschte besorgen.« »Ich bin gar nicht in der Lage, Ranger aufzuspüren, selbst wenn ich es wollte. Ranger kann sich in Luft auflösen.« »Ja, schon, aber angeblich verfügen Sie über ein ganz spezielles Talent, wenn Sie verstehen, was ich meine. Außerdem sind Sie Kopfgeldjägerin. Sie spüren jeden auf, tot oder lebendig.«
Ich schloss die Tür meines Hondas auf und glitt hinters Steuerrad. »Richten Sie Alexander Ramos aus, er soll sich jemanden anderen suchen, der Ranger für ihn findet.«
Mitchell sah aus, als wollte er sich die Haare büschelweise ausreißen. »Entschuldigen Sie den Ausdruck, aber für diesen Dreckskerl arbeiten wir nicht!«
Ich richtete mich unwillkürlich in dem Fahrersitz auf. »Für wen arbeiten Sie dann?«
»Das sagte ich Ihnen doch schon. Diese Information können wir Ihnen nicht preisgeben.«
Meine Güte.
Meine Großmutter stand in der Tür, als ich vorfuhr. Seit mein Großvater seine Lottoscheine direkt im Himmel ausfüllt, wohnt sie bei meinen Eltern. Grandma hat stahlgraues, kurz geschnittenes Haar, mit Dauerwelle. Sie isst wie ein Scheunendrescher und hat eine Haut wie ein Suppenhuhn. Ihre Ellbogen sind rasiermesserscharf. Heute trug sie weiße Turnschuhe und einen rosaroten Trainingsanzug, und sie schob ihre obere Zahnprothese im Mund hin und her: ein Zeichen, dass ihr etwas durch den Kopf ging.
»Wie schön! Wir wollten gerade zu Mittag essen«, sagte sie. »Deine Mutter war bei Giovicchini einkaufen und hat Hühnchensalat und Brötchen mitgebracht.«
Ich warf einen flüchtigen Blick ins Wohnzimmer. Der Sessel meines Vaters war leer.
»Er fährt Taxi«, sagte Grandma. »Whitey Blocher hat angerufen, sie brauchten einen Ersatzmann.«
Mein Vater ist pensionierter Postbeamter. Manchmal fährt er Taxi, hauptsächlich, um mal aus dem Haus zu kommen, nicht, um sich was nebenher zu verdienen. Taxifahren ist allerdings auch häufig genug nur eine bessere Entschuldigung für ein Kartenspielchen in der Klubhütte der Elks.
Ich hängte meine Jacke an die Garderobe in den Flur und nahm meinen Platz am Küchentisch ein. Meine Eltern wohnen in einer schmalen Doppelhaushälfte. Die Wohnzimmerfenster gehen zur Straße hinaus, das Esszimmerfenster zur Garageneinfahrt, und das Küchenfenster und die Hintertür zu einem Hof, der zu dieser Jahreszeit zwar sauber, aber öde aussah.
Meine Großmutter saß mir gegenüber. »Ich überlege, ob ich mir die Haare anders färben lassen soll«, sagte sie. »Rose Kotman hat sich ihre Haare rot färben lassen. Das steht ihr ziemlich gut. Sie hat prompt einen neuen Freund gefunden.« Grandma nahm sich ein Brötchen und schlitzte es mit einem großen Messer auf. »Ich hätte auch nichts gegen einen Freund.«
»Rose Kotman ist fünfunddreißig«, sagte meine Mutter.
»Ich bin auch nicht viel älter«, sagte meine Großmutter. »Andauernd sagen mir die Leute, dass ich jünger aussehe als ich bin.«
Das stimmte nicht ganz. Nach dem Äußeren zu urteilen, war sie ungefähr neunzig. Ich mochte
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