Tödliche Versuchung
einem erstklassigen Zustand – was von Onkel Sandor nicht behauptet werden konnte, der lag tief unter der Erde. Der Wagen war taubenblau und weiß, mit chromblitzenden Scheinwerfer-Bullaugen und einem schweren Acht-Zylinder-Motor. Bis Grandma ihren Führerschein gemacht hatte und den Buick brauchte, hatte die Versicherung hoffentlich mein Geld überwiesen. Hoffentlich eher, denn ich konnte das Auto nicht ausstehen.
Als ich mich schließlich auf den Heimweg begab, stand die Sonne bereits tief. Der Parkplatz vor meinem Haus war fast voll, und der große schwarze Lincoln stand neben einem der wenigen leeren Buchten. Ich steuerte den Buick auf den freien Platz, und das Beifahrerfenster des Lincoln glitt nach unten.
»Was haben wir denn da?«, sagte Mitchell. »Schon wieder ein anders Auto? Sie wollen uns doch nicht absichtlich durcheinander bringen, oder?«
Wenn es doch nur so einfach wäre. »Es gab da ein paar Probleme mit dem Auto.«
»Sie kriegen noch ganz andere Probleme, die fatal sein könnten, wenn Sie nicht bald diesen Ranger finden.«
Mitchell und Habib waren vermutlich schwere Jungs, aber ich musste mich anstrengen, um richtig Angst vor ihnen zu haben. Die beiden konnten Morris Munson, diesem Gestörten, einfach nicht das Wasser reichen.
»Was haben Sie denn mit Ihrem Hemd gemacht?«, fragte Mitchell.
»Jemand hat versucht, es in Brand zu stecken.«
Er schüttelte den Kopf. »Die Leute sind verrückt. Heutzutage muss man selbst hinten im Kopf Augen haben.«
Und das aus dem Mund eines Typen, der mich gerade mit dem Tod bedroht hat.
Ich betrat die Eingangshalle und hielt Ausschau nach Ranger. Die Aufzugtüren öffneten sich, und ich warf einen Blick in die Kabine. Leer. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Die Halle war ebenfalls leer. Meine Wohnung versagte mir dieses Glück. Kaum hatte ich die Tür aufgeschlossen, kam Grandma aus der Küche angesegelt.
»Gerade rechtzeitig«, sagte sie. »Die Schweinekoteletts können auf den Tisch. Dazu gibt es Makkaroni mit Käse. Gemüse habe ich keins gekocht, weil ich mir gedacht habe, deine Mutter ist ja nicht da, und deswegen können wir essen, was uns schmeckt.«
Der Tisch in der Essecke war ordentlich gedeckt, mit richtigen Tellern, Messern und Gabeln und dreieckig gefalteten Papierservietten.
»Wie schön«, sagte ich. »Das ist lieb, dass du uns Abendessen gekocht hast.«
»Ich hätte den Tisch noch schöner dekorieren können, aber leider hast du nur einen Topf. Was ist mit dem Revere-Geschirr, das du zur Hochzeit geschenkt bekommen hast?«
»Das habe ich weggeworfen, als ich Dickie damals mit Joyce auf dem Küchentisch… du weißt schon.«
Grandma stellte die Makkaroni und den Käse auf den Tisch. »Das kann ich gut verstehen.« Sie setzte sich hin und nahm sich ein Kotelett. »Ich muss noch mal weg. Melvina und ich sind heute Nachmittag nicht mehr dazu gekommen, uns die Aufbahrung anzusehen, deswegen wollen wir heute Abend hin. Du kannst gerne mitkommen, wenn du willst.«
Lieber steche ich mir die Augen mit einer Gabel aus, als mir freiwillig Tote anzugucken. »Vielen Dank, aber ich muss heute Abend arbeiten. Ich übernehme eine Beschattung für einen Freund.«
»Schade«, sagte Grandma. »Ist bestimmt eine schöne Leiche.«
Nachdem Grandma gegangen war, guckte ich mir erst
Die Simpsons
an, dann eine Folge von
Die Schlümpfe
und zum Schluss eine halbe Stunde Sport auf ESPN, alles nur, um mich von Ranger abzulenken. Im hintersten Winkel meines Verstandes hegte ich Zweifel an seiner Unschuld im Mordfall Ramos. Der Rest war ausgefüllt mit der Befürchtung, Ranger könnte erschossen werden, bevor der wahre Mörder gefunden war. Damit nicht genug, hatte ich mich auch noch bereit erklärt, jemanden für ihn zu beschatten. Ranger war Vinnies bestes Pferd im Stall, aber Ranger war auch an diversen anderen Unternehmungen beteiligt, von denen zumindest einige legaler Natur waren. Ich hatte in der Vergangenheit manchmal für ihn gearbeitet, mit unterschiedlichem Erfolg. Am Ende hatte ich meinen Namen von seiner Personalliste streichen lassen, weil ich zu dem Schluss gekommen war, dass niemandem damit gedient war, wenn ich mich mit Ranger zusammentat. Jetzt war anscheinend der Zeitpunkt gekommen, mal eine Ausnahme zu machen – obwohl ich nicht genau wusste, warum er ausgerechnet mich um Hilfe gebeten hatte. Ich war nicht gerade die Kompetenteste. Dafür hatte ich Loyalität bewiesen, und gelegentlich hatte ich sogar
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