Tödliche Versuchung
Glück, und obendrein war ich vermutlich erschwinglich.
Als die Dunkelheit anbrach, zog ich mich um. Schwarze Spandex-Jogging-Shorts, schwarzes T-Shirt, Joggingschuhe, und zur Vervollständigung des Outfits ein schwarzes KapuzenSweatshirt und ein handliches Reizgasspray. Sollte ich bei meiner Schnüffelei erwischt werden, konnte ich behaupten, ich würde gerade joggen. Jeder Spanner benutzte diese lahme Ausrede, aber sie funktionierte jedes Mal.
Ich gab Rex ein Stück Käse und erklärte ihm, ich sei in ein paar Stunden wieder da. Danach ging ich runter zum Auto. Ich suchte einen Honda Civic, aber dann fiel mir ein, dass der ja abgefackelt war. Danach hielt ich Ausschau nach der Windmaschine, aber das war auch umsonst. Mit einem entmutigenden Seufzer entschied ich mich schließlich für den Buick.
Die Fenwood Street ist abends ganz gemütlich. Die Fenster waren erleuchtet, und die Torwege, die zu den einzelnen Häusern führten, waren von Gehweglampen gesäumt. Auf der Straße war nichts los.
Hannibal Ramos hatte die Vorhänge immer noch zugezogen, aber dahinter schimmerte Licht. Ich fuhr einmal um den Häuserblock und stellte den Buick gleich hinter dem Radweg ab, den ich heute Morgen entlanggegangen war.
Ich machte ein paar Dehnübungen und joggte auf der Stelle, für den Fall, dass mich jemand beobachtete und für eine verdächtige Person hielt. Dann trabte ich los und erreichte schon bald den Weg in der öffentlichen Grünanlage hinter den Häusern. Bis hierher sickerte, bedingt durch die Bäume, nur wenig Umgebungslicht. Es dauerte einen Moment, bis sich meine Augen daran gewöhnt hatten. In jede einzelne Schutzmauer war ein Tor eingebaut. Ich ging vorsichtig weiter und zählte die Tore ab, bis ich mich auf der Rückseite von Hannibals Haus befand. Aus den Fenstern im ersten Stock kam kein Licht, aber über die Schutzmauer hinweg ergoss sich Licht, das aus den hinteren Erdgeschoss-Fenstern stammen musste.
Ich rüttelte an dem Tor in der Mauer. Es war abgeschlossen. Die Backsteinmauer war über zwei Meter hoch, und die Steine waren glatt. Unmöglich daran hochzuklettern. Es gab keinen Halt für Hände und Füße. Ich sah mich nach etwas um, auf das ich mich stellen konnte. Nichts. Dann entdeckte ich eine Fichte, die neben der Mauer wuchs. Schön groß, mit vielen Ästen dicht am Boden. Wenn es mir gelingen würde, auf den Baum zu klettern, dann würden mir die Äste Sichtschutz gewähren, und ich konnte Hannibal beobachten. Ich packte einen der unteren Äste und schwang mich hoch. Ich kletterte noch ein Stück höher und wurde mit einem Blick in Hannibals Garten entlohnt. Die Mauer war mit brachliegenden Blumenbeeten gesäumt. Eine mit unregelmäßigen Steinplatten ausgelegte Terrasse reichte bis zum Sockel des Hauses, der Rest des Gartens bestand aus Rasenflächen.
Wie ich vermutet hatte, waren die Vorhänge hier auf der Rückseite des Hauses nicht zugezogen. Ein Doppelfenster gab den Blick in die Küche frei. Eine Terrassentür führte zu einem Esszimmer, dahinter erkannte man eine Ecke von einem anderen Zimmer, wahrscheinlich das Wohnzimmer, schwer zu sagen. Es ging niemand in den Räumen umher.
Ich stieg noch höher, bis ich oberhalb der Mauer war. Ich blieb eine Zeit lang sitzen und beobachtete die Wohnung, aber nichts geschah. Es war nichts los in Hannibals Haus. Auch in den Nachbarhäusern nicht. Wie langweilig. Kein Mensch kam den Radweg entlang, keiner führte seinen Hund aus. Keine Jogger. Dafür war es zu dunkel. Das ist der Grund, warum ich Beschattungen so liebe: Nie passiert irgendwas. Dann geht man mal kurz aufs Klo, und schon verpasst man einen Doppelmord.
Nach einer Stunde waren meine Pobacken eingeschlafen und es kribbelte in meinen Beinen, weil ich so verkrampft dasaß. Mach Schluss, dachte ich. Ich wusste sowieso nicht, wonach ich eigentlich Ausschau halten sollte.
Ich stand auf, drehte mich, um herunterzuklettern, verlor dabei das Gleichgewicht und plumpste zu Boden. Rumms! Auf den Rücken. In Hannibals Garten.
Die Terrassenbeleuchtung ging an, und Hannibal sah zu mir herüber. »Das gibt’s ja wohl nicht!«, sagte er.
Ich schüttelte die Hände und bewegte meine Beine. Es war alles noch dran.
Hannibal stand über mir, die Fäuste in die Hüften gestemmt und erwartete offenbar eine Erklärung.
»Ich bin vom Baum gefallen«, sagte ich. Schwer zu übersehen. Überall um mich herum lagen Tannennadeln und Zweige.
Hannibal rührte sich nicht.
Ich kam nur mühsam auf die Beine.
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