Toedliche Worte
dachte an ihre eigene fatale Vergangenheit zurück. Zwei Beziehungen in den letzten sechs Jahren, und sie hatte sich an beide noch geklammert, als sie sich eigentlich schon längst überlebt hatten. Das ließ sie daran denken, dass sie einmal ein Gedicht gelesen hatte, in dem die Liebe mit einem Papierdrachen verglichen wurde: Man kann die Schnur nicht loslassen, bis einem jemand etwas Besseres zu tun gibt. Obwohl sie es nicht gern sah, wie Lindys Halsstarrigkeit sich auf Merrick auswirkte, beneidete sie seine Frau wegen ihrer Fähigkeit, sich so leicht frei zu machen.
Aber Merrick war zu sehr mit seinem eigenen Elend beschäftigt, um Paulas kummervollen Tonfall wahrzunehmen. »Wenn wir die Dinge klären, werde ich wenigstens wissen, wie oft ich die Jungs sehen kann«, sagte er. »Sollte ich in diesem Leben irgendwann mal freikriegen.«
»Wenn wir heute Abend Glück haben, werden wir’s danach ein bisschen leichter nehmen können«, sagte Paula und versuchte nicht daran zu denken, was es für sie bedeutete, wenn sie Glück hatten.
Das kam bei ihm an. Merrick sah auf, in seinen traurigen Augen blitzte Interesse auf. »Kommst du mit heute Abend klar?«, fragte er.
Paula drehte eine Haarsträhne um ihren Finger. »Ich bin ein bisschen nervös«, gab sie zu.
»Es wird dir nichts Schlimmes passieren«, beruhigte sie Merrick.
»Was? Nichts Derartiges wie damals, als du hinter dem Schwulenkiller her warst?«, sagte Paula sarkastisch. Sie war zu der Zeit erst Polizeikomissaranwärterin gewesen und hatte nur am Rande mit der Ermittlung zu tun gehabt, aber sie erinnerte sich noch deutlich an den Verband, der wie ein Turban um Merricks Kopf gewickelt war, nachdem er bei einer verdeckten Operation Pech gehabt hatte.
Merrick war verlegen. »Das war meine eigene Schuld«, sagte er. »Ich habe mich in Gefahr gebracht. Ich dachte, ich könnte mit der Situation fertig werden, aber da irrte ich mich. Du solltest aus meinen Fehlern lernen: Geh kein Risiko ein, überlasse nichts dem Zufall. Wenn dir Zweifel kommen, brich lieber ab. Es ist besser, sich eine Gelegenheit zur Erfassung des Mörders entgehen zu lassen, als dass dir etwas passiert.«
Wegen seiner ernsten Sorge etwas beklommen, sagte Paula: »Ich mache mir eigentlich keine Sorgen, dass mir etwas passieren könnte. Ich vertraue auf die Rückendeckung. Sieh mal, nach dem, was Jordan durchgemacht hat, wird sie mich nicht ungeschützt lassen. Höchstens wird sie es übertreiben und ihn verjagen.«
»Was macht dich dann so nervös? Ich seh doch, dass dich etwas umtreibt.«
»Es hört sich bestimmt blöd an«, sagte Paula. »Aber ich weiß nicht, ob ich es durchziehen kann. Ich bin nicht sicher, dass ich die Rolle gut genug spielen kann. Mir fehlt dazu, glaube ich, die richtige Phantasie.«
Merrick runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht genau, was du meinst.«
»Ich bin durch und durch Polizistin, Don. Ich sehe die ganze Welt in Schwarzweiß. Diese ganze Einfühlungsstrategie, auf der Tony Hill immer herumreitet, das bringe ich nicht. Ich fass die Schufte nicht dadurch, dass ich so wie sie denke. Ich krieg sie, weil sie dumm sind, und ich bin clever. Weil ich auf der Seite des Rechts stehe und sie nicht. Wie kann so jemand wie ich an der Straßenecke stehen und einen Scheißpsychopathen davon überzeugen, dass ich ’ne Nutte bin?«, sagte Paula bissig.
Merrick suchte nach einer Antwort. »Na ja, du hast doch die Sachen an, oder?«
»Ja, die Sachen hab ich«, sagte sie müde. »Shields weiß alles darüber, wie man die richtig knalligen Klamotten auswählt. Aber ich fühle mich wie ein Kind, das Theater spielt. Weißt du, wie man sich manchmal zum Ausgehen feinmacht, etwas anzieht, das ein bisschen außergewöhnlich ist, und dann denkt: ›Oh, wow, das kann ich heute Abend sein‹?«
Merrick sah sie an, als seien das alles böhmische Dörfer für ihn. »Eigentlich nicht.«
»Glaub mir, so ist es. Aber wenn ich dieses Zeug anziehe, denke ich nur: ›Diese Person möchte ich absolut nicht sein.‹ Ich befürchte nicht, dass ihr mich im Stich lasst, ich habe vielmehr Angst, dass ich es nicht schaffe.«
Carol suchte John Brandon, der im Presseraum und ganz in eine Diskussion mit einem der Kollegen von der Pressestelle vertieft war.
Er sah auf, als sie eintrat, und nickte ihr zu. »Carol, wir sprechen gerade über Tim Golding und Guy Lefevre. Shaheed hat mit einer der Sonntags-Boulevardzeitungen gesprochen. Sie haben offenbar vor, an diesem Wochenende die Fälle noch
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