Toedliche Worte
Kollegin beruhte oder mehr bedeutete. Es war ein erfreulicher Gedanke, mit dem er sich jetzt der grausamen Kälte des Einsatzzentrums stellen konnte.
Carol schwebte in die Polizeistation und war sich bewusst, dass ihre Stimmung so gar nicht zu dem passte, was der Tag für sie bereithielt. Aber im Augenblick war ihr das egal. Sie hatte in der Nacht Berge versetzt, hatte ihre Welt aus den Angeln gehoben und würde dieses Gefühl auskosten, solange sie konnte. Zwar war Jonathan nicht der feurigste Liebhaber gewesen, den sie je hatte. Er war beim rituellen Tanz der Gefühle zu vorsichtig, zu eifrig bemüht, zu verdammt ängstlich gewesen. Ihr zynischer Kommentar als Polizistin lautete: Vielleicht stammten seine überlegt wirkenden Praktiken aus dem gleichen Buch, das er ihr geschenkt hatte. Aber selbst wenn es so wäre, war das eigentlich nicht wichtig. Wesentlich war nur, dass sie das unsichtbare Tabu gebrochen hatte, durch das sie von einem wichtigen Teil ihres Ichs getrennt gewesen war. Sie hatte die Vergewaltigung noch nicht überwunden. Aber sie war einen Schritt weitergekommen. Ihr Körper gehörte wieder ihr selbst.
Jonathan war kurz nach sechs gegangen, und es tat ihr nicht leid, dass er ging. Er hatte versucht, sie auf eine weitere Verabredung festzulegen, aber sie war ihm geschickt ausgewichen und hatte die Arbeit vorgeschoben, um eine Begegnung zu vermeiden, die sie nicht wollte. Sie mochte ihn schon, wollte aber nicht planlos in eine Beziehung mit ihm hineinschlittern.
Er war nicht derjenige, mit dem sie zusammen sein wollte. Sie hatte schon immer gewusst, dass sie nicht erwarten konnte, von Tony zum Sex zurückgebracht zu werden. Das war ein Weg, den sie ohne ihn gehen musste. Aber da sie nun einmal so weit war, eröffnete dies Möglichkeiten, die seit Berlin für sie beide blockiert gewesen waren.
Sie nahm zwei Treppenstufen auf einmal und trat strahlend vor Selbstvertrauen und guter Laune ins Einsatzzentrum. Stacey sah beiläufig von ihrem Computer auf, als sie hereinkam, und war so verdutzt, dass es fast komisch wirkte. »Guten Morgen, Stacey«, sagte Carol fröhlich.
»Morgen, Ma’am«, sagte Stacey automatisch.
»Ich hab heute ein gutes Gefühl«, sagte Carol. »Wissen Sie, manchmal spürt man doch, das könnte der Tag sein, an dem etwas Entscheidendes passiert und an dem wir endlich das bekommen, was wir brauchen, um voranzukommen, oder?« Stacey nickte. »Also, genau dieses Gefühl habe ich heute früh.«
»Dr. Hill hat eine Datei für Sie geschickt«, sagte Stacey, die nicht sicher war, wie sie sonst auf den in ihren Augen unbegründeten Optimismus reagieren sollte. Mit Technik konnte sie umgehen, aber Menschen fand sie verwirrend, und sie strebte ständig nach der gleichen Meisterschaft im Umgang mit ihnen, die ihr in der Cyberwelt so mühelos zur Verfügung stand.
Carol war plötzlich ernüchtert. »Worum geht es denn?«, fragte sie.
»Er hat ein Profil für den Tim-Golding-Fall erstellt. Ich habe es ausgedruckt. Es liegt auf Ihrem Tisch.«
»Danke.« Carol ging schon auf ihr Büro zu. Sie griff sich den Ausdruck, streifte den Mantel ab und fing an zu lesen. Sofort erkannte sie die vertraute Vorbehaltsklausel am Anfang:
Betr: Tim Golding
Das folgende Täterprofil ist nur zur Orientierung gedacht und sollte nicht als präzises Porträt betrachtet werden. Es ist unwahrscheinlich, dass der Täter in allen Einzelheiten dem Profil entspricht, obwohl ich eine hohe Übereinstimmung zwischen den unten aufgeführten Charakteristika und der Realität erwarte. Alle Aussagen dieser Profilanalyse sind Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten, nicht erhärtete Tatsachen.
Ein Sexualmörder hinterlässt Signale und Indizien, wenn er seine Verbrechen begeht. Bewusst oder unbewusst ist alles, was er tut, als Teil eines Musters angelegt. Kann man die zugrunde liegenden Muster aufdecken, entschlüsselt man die Logik des Mörders. Uns mögen diese Muster nicht logisch erscheinen, aber für ihn sind sie zwingend. Weil seine Logik so eigenwillig ist, kann man ihn nicht mit einfachen Fallen fangen. Und da er so einzigartig ist, müssen die Mittel, ihn zu fassen, zu verhören und seine Taten nachzuvollziehen, genauso außergewöhnlich sein.
Dies ist ein Nachtrag zu dem Profil, das ich vor einiger Zeit auf Anfrage von DI Merrick entworfen habe. Wie ich schon dargelegt habe, ist der Täter wahrscheinlich männlich und zwischen 27 und 42 Jahre alt. Vermutlich lebt er allein. Wahrscheinlich hat er oberflächliche
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