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Toedliche Worte

Toedliche Worte

Titel: Toedliche Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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schwierigsten Teil, das Auffinden der Leiche, schon hinter sich.
    »Wie lange genau hattet ihr diese Vereinbarung schon?«, fragte Kevin beiläufig.
    Dee zuckte die Schultern. »Ungefähr drei Monate, glaube ich. Sandie hat vorher das Zimmer mit einem anderen Mädchen geteilt, mit Mo, aber die ist nach Leeds zurückgegangen, und deshalb hat mich Sandie gefragt, ob ich mich mit ihr zusammentun wollte.«
    »Wie ist das in der Praxis gelaufen?«
    Dee ließ mit einer schnellen Handbewegung den Deckel ihrer Zigarettenschachtel aufklappen und betrachtete verärgert die letzten drei Zigaretten. »Sie werden zum Automaten gehen müssen, wenn es noch viel länger dauert.«
    »Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Erzählen Sie mir, wie es lief.« Kevin lächelte wieder, so nett und einfühlsam er konnte.
    Dee blickte missmutig vor sich hin. Die feinen Fältchen in ihrem Gesicht gruben sich dadurch tiefer ein und ließen sie so alt aussehen, wie sie war. »Sandie hat die frühere Schicht. An den meisten Abenden hört sie ganz gern gegen zehn auf. Sie hat ein Kind. Einen kleinen Jungen, Sean. Ihre Mutter kümmert sich um ihn. Sandie geht gern früh nach Hause, damit sie noch einigermaßen schlafen kann, bevor sie morgens mit ihm aufsteht und ihn für die Schule fertig macht. Nach halb elf hatte ich dann das Zimmer für mich.«
    Kevin versuchte, nicht daran zu denken, wie Sean sich fühlen würde, wenn er morgens aufwachte und hören müsste, dass seine Mutter ermordet worden war. Stattdessen konzentrierte er sich auf das, was Dee sagte. »Wieso haben Sie sie dann nicht gestern Abend schon gefunden?«, fragte er.
    »Ich habe gestern Abend nicht gearbeitet.« Sie registrierte die Überraschung auf seinem Gesicht. »Wenn Sie es unbedingt wissen müssen, ich hatte den Dünnpfiff. Ich muss was gegessen haben, das nicht in Ordnung war. In dem Zustand konnte ich unmöglich rausgehen und Nummern schieben.«
    Das war plausibel. Selbst Huren sind mal krank, dachte Kevin. »Alles war also normal, soweit Sie wussten? Als Sie mit Ihrem Freier raufgingen, erwarteten Sie, dass das Zimmer leer sein würde?«
    Dee schloss die Augen und schauderte beim Gedanken daran. »Ja.«
    »Hatten Sie Sandie an dem Abend schon gesehen?«
    Dee schüttelte den Kopf. »Ich hätte sie vielleicht getroffen, wenn ich gearbeitet hätte, aber das tat ich ja nicht. Bevor ich anfing, hab ich im Nag’s Head was getrunken, aber Sandie hab ich nicht gesehen.«
    »Wo stand sie normalerweise bei der Arbeit?«
    »Unten am Ende von Campion Boulevard. Gleich nach dem kleinen Kreisverkehr.«
    Kevin rief sich die Stelle ins Gedächtnis. Sandie hätte also nur auf der Seitenstraße fünfzig Meter weitergehen müssen, um dann vor der Gasse zu stehen, in der das gemeinsam genutzte Zimmer war. »Hatte sie Stammkunden?«
    Dee verlor plötzlich die Fassung. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie versuchte ein leises Wimmern zu unterdrücken. »Ich weiß nicht. Hören Sie, wir haben uns nur das Zimmer und die Miete geteilt, aber wir sind nicht dauernd zusammen gewesen. Ich weiß nicht, was sie mit wem gemacht hat.«
    Kevin beugte sich über den Tisch und nahm Dees Hand. Vor lauter Erstaunen legte sich ihr Gefühlsausbruch, und ihr Mund blieb offen stehen. »Tut mir leid. Wir müssen einfach alle Möglichkeiten ausschöpfen, damit wir auch nur eine Chance haben, ihn zu fassen.«
    Dee lachte spöttisch und zog ihre Hand weg. »Wenn man Sie hört, könnte man ja geradezu denken, eine anständige Mutter von drei Kindern sei ermordet worden und nicht eine billige Nutte.«
    Kevin schüttelte traurig den Kopf. »Ich weiß nicht, wo Sie das herhaben, Dee, aber wir behandeln hier niemanden als minderwertiges Opfer. Meine Chefin würde das nicht zulassen.«
    Dee schien einen Moment unsicher. »Meinen Sie das ernst?«
    »Ja. Niemand gibt sich bei diesen Ermittlungen weniger als hundert Prozent Mühe. Jetzt hätte ich gern, dass Sie mit mir nach oben gehen und sich ein paar Fotos betrachten. Würden Sie das für mich tun, Dee?«
    »Alles klar«, sagte sie. Schwierig zu sagen, wer von beiden überraschter war.

    Es war schon nach Mitternacht, und das unangenehm grelle Neonlicht in Carols Büro ließ die Haut grau erscheinen. Carol war dabei, die dürftigen Computerdateien zu Derek Tylers Morden zu lesen, als die Tür aufging und Tony eintrat. »Es ist einfach Unsinn«, sagte er ohne weitere Einleitung.
    Carol war an die seltsamen Sprünge in seiner Redeweise gewöhnt und nahm es hin.

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