Toedliche Worte
»Oberflächlich betrachtet, scheint es unmöglich zu sein. Ich würde gerne Dr. Hills Rat einholen.«
»Ist es dafür nicht ein bisschen früh?«, fragte Brandon.
»Normalerweise würde ich das auch so sehen, Sir, aber ich glaube, falls wir es mit einer Nachahmungstat zu tun haben sollten, könnte er uns schnell Aufschluss geben. Wie damals, als wir alle zum ersten Mal zusammengearbeitet haben.« Carol hielt die Luft an, während Brandon überlegte.
»Ja gut, ziehen Sie Dr. Hill hinzu. Wir werden uns morgen früh ausführlicher darüber unterhalten.«
Als Carol aufgelegt hatte, trat sie zur Seite, um den Leuten vom Leichenschauhaus Platz zu machen, die die Treppe heraufkamen. »Weiß Dr. Vernon Bescheid?«, fragte sie.
Der Mann, der als Letzter vorbeiging, nickte. »Ja, er will morgen früher Schluss machen, weil er zu einer Konferenz muss oder so was. Er sagte, wir sollten Ihnen ausrichten, er werde morgens gleich um sieben loslegen.«
Merrick und Kevin traten zu ihr auf den Treppenabsatz, um Platz zu machen, als die Tote in den Leichensack geschoben wurde. »Kevin, Sam befragt die Frau, die die Leiche gefunden hat. Kommen Sie mit mir zur Wache und setzen Sie sich dazu. Sie haben ja damals die Fälle bearbeitet, vielleicht fällt Ihnen etwas auf, über das Sam nicht Bescheid weiß. Don, Sie und Paula fangen mit den Befragungen von Tür zu Tür an. Wir müssen mit allen Straßenmädchen und Strichjungen reden, an die wir rankommen, und außerdem mit dem Personal in den Bars, mit Kunden und so weiter. Wir müssen herausfinden, wo Sandie Foster gearbeitet hat. Irgendjemand muss sie mit dem Mörder gesehen haben.« Sie streifte die Handschuhe ab, steckte die Hände in die Taschen und zog unwillkürlich die Schultern hoch. »Und im Moment sollten wir alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.«
Kevin fand Sam Evans vor den Vernehmungsbüros, wo er an die Wand gelehnt stand. »Wie läuft’s?«, fragte er.
»Ich bin froh, dass du kommst«, seufzte Evans. »Die Frau da drin hat eindeutig was gegen Farbige. Wie kommt es, dass wir wegen Rassismus gemaßregelt werden, wenn wir auch nur ein falsches Wort sagen, aber sie mich einfach Bimbo nennen darf?«
Kevin stöhnte. »Soll ich’s mal mit ihr versuchen?«
»Bitte.« Evans wies auf die Tür. »Ich kann kein einziges Wort aus ihr herauskriegen. Ich geh mal eine rauchen.«
Er gab Kevin eine Mappe und ging. Kevin schlug sie auf und sah ein einzelnes Blatt Papier, auf dem nicht mehr stand als Name, Alter und Adresse.
»Das war wohl kein Witz, Sam?«, sagte er leise.
Kevin blickte durch das Guckloch an der Tür und sah eine blondierte Frau in einem kurzen, engen schwarzen Kleid. Auf dem Zettel stand, sie sei neunundzwanzig, aber aus der Entfernung schien sie eher neunzehn zu sein. Sie hielt ihre knappe Jacke eng an sich gezogen, als sei es kalt im Raum. Sie rauchte, und aus der verqualmten Luft ließ sich schließen, dass es nicht ihre erste Zigarette war. So viel zu Brandons Plänen, das Rauchen zu unterbinden. Kevin erinnerte sich an den ersten Tag, an dem er versucht hatte, die Vorschrift durchzusetzen. Der Verdächtige, den er vernahm, hatte gedroht, sich wegen außergewöhnlich grausamer Behandlung und Verstoßes gegen die Menschenrechte zu beklagen. Er würde von Dee Smart nicht verlangen, dass sie ihre Zigarette ausdrücken solle. Sie war bis jetzt die einzige Person, von der sie sich eine brauchbare Zeugenaussage erwarten konnten, und dieser Fall war viel zu wichtig, als dass er ein Risiko eingehen wollte.
Er ging hinein und schenkte ihr sein teilnahmsvollstes Lächeln.
»Verdammt noch mal«, sagte sie. »Gott sei Dank, ein menschliches Wesen.«
»Haben Sie ein Problem mit meinem Kollegen?«, fragte Kevin und lächelte mitfühlend.
»Der ist mir nicht ganz geheuer«, murmelte sie. »So selbstgefällig wie Ali G. ›Hängt es damit zusammen, dass ich schwarz bin?‹ Nee, Kumpel, bloß damit, dass du ’n Arschloch bist. Jemand sollte ihm mal sagen, dass Huren mehr wert sind als der Dreck an seinen Schuhen. Wieso meint er, dass er auf mich runtergucken kann?«
»In der Rubrik soziale Kompetenz ist er ’n bisschen schwach.«
»Das können Sie zweimal sagen.« Sie stieß eine Rauchwolke aus und blickte finster vor sich hin. »Und – werden Sie mich besser behandeln?«
Zwanzig Minuten später hatten die beiden es sich fast gemütlich gemacht. Die Becher mit Tee, die er gebracht hatte, um die Situation zu entspannen, waren leer, und sie hatten den
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