Toedliche Worte
kommen und es ihr wegnehmen.« Sie räusperte sich und trat vor. »Was meinen Sie, Doc? Der gleiche Mörder?«
Vernon schaute zu ihr hoch. »Sie ist auf die gleiche Art und Weise umgebracht worden. Höchstens, dass ihre Wunden noch schwerer sind. Ich würde vermuten, dass der Mörder diesmal ein längeres Instrument benutzt hat. Die inneren Verletzungen sind tiefer. Es kann sein, dass sie nicht mehr so lange lebte wie Sandie Foster. Der Schmerz muss unerträglich gewesen sein. Der Schockzustand hat wahrscheinlich schon ziemlich bald nach dem Angriff eingesetzt.«
Carol schauderte. »Was für ein Mensch tut so was?«
»Das ist eine Frage für Dr. Hill, nicht für mich. Ich kann Ihnen nur sagen, was er tut, nicht warum. Außer dass es ihm auf jeden Fall irgendeinen sexuellen Kick bringt.«
»Das ist ja nichts Neues«, murmelte Merrick.
Vernon warf ihm einen scharfen Blick zu. »Ich hab’s mit Fakten zu tun, Inspector, nicht mit Theorien. Ich weiß, dass er eine Art sexuelle Befriedigung daraus zieht, weil ich auf Jackie Mayalls Leib Spermaspuren gefunden habe.«
Wegen der Feuchtigkeit an den Fenstern von Stan’s Café sah es immer so aus, als sei der ganze Kanal in Temple Fields in Dunst gehüllt. DS Kevin Matthews stieß die Tür auf und wechselte vom kalten Nebel in den warmen Mief, war aber nicht sicher, ob er das als Verbesserung ansehen sollte. Er zog ein gefaltetes DIN-A4-Blatt aus der Tasche und setzte sich an den ersten Tisch neben der Tür. Der vor sich hin starrende junge Mann im Kapuzen-Sweatshirt, der schon dort saß, schien überrascht, als hätte Kevin ein ungeschriebenes Gesetz gebrochen. Kevin faltete den Computerausdruck eines Schnappschusses auseinander, den Merrick in Jackie Mayalls Wohnung gefunden hatte. Darauf war Jackie zu sehen, die ein Glas in die Kamera hielt und deren blondiertes Haar im Blitzlicht weiß glänzte. Merrick hatte an dem Foto herumgebastelt, um das rote Auge wegzubekommen. Jetzt sah es nur so aus, als seien ihre Pupillen unnatürlich erweitert. »Wahrscheinlich fast normal«, brummte Sam, als er seinen Abzug geholt hatte und sich mit Kevin auf den Weg durch die Straßen machte. Sie hatten sich getrennt, Sam übernahm den kleinen Laden und den Schnellimbiss um die Ecke.
»Alles in Ordnung, Kumpel?«, fragte Kevin.
Der junge Mann nickte eifrig. »Ja. Alles in Ordnung. Ich bin Jason.«
Und nicht besonders helle , dachte Kevin und passte seinen Ton an, ohne herablassend zu wirken. »Hi, Jason, ich bin Kevin. Ich bin von der Polizei.«
Er hielt ihm das Bild von Jackie hin. Jason schaute es an und sah zu Kevin auf. »Wieso haben Sie ein Bild von Jackie? Ist sie Ihre Freundin? Haben Sie sie verloren?«
»Kannten Sie Jackie?«
»Jackie. Ich kenne Jackie. Jackie kommt hier rein und trinkt heiße Schokolade.«
»Tut mir leid, dass ich Ihnen sagen muss, Jackie ist tot. Sie wurde letzte Nacht ermordet.«
Jason blieb der Mund offen stehen. »Nein. Doch nicht Jackie, das kann nicht stimmen. Jackie ist eine nette Frau. Sie müssen etwas verwechselt haben.«
Kevin schüttelte den Kopf. »Keine Verwechslung, leider. Tut mir leid.«
»Es stimmt. Jackie war nett«, wiederholte Jason.
»Haben Sie je mit ihr geredet?«
Jason sah verlegen aus. »Eigentlich nicht. Nicht so richtig geredet. Nur: ›Hallo, wie geht’s?‹«
Bevor Kevin weiterfragen konnte, lösten sich zwei Jugendliche vom Spielautomaten und ließen sich auf den anderen beiden Stühlen am Tisch nieder. »Sind Sie von der Polizei?«, fragte der eine.
Kevin nickte. »Und Sie sind …?«
Der untersetztere der beiden Jungen straffte in einer kläglichen Parodie von Männlichkeit die Schultern. »Ich bin Tyrone Donelan.«
»Und was ist bei Ihnen los, Tyrone?«, fragte Kevin und bemühte sich, nicht sarkastisch zu klingen.
»Alles, was nich fest iss.« Er lachte laut über seinen eigenen Witz. »Ich bin Mechaniker«, sagte er. »Alles, was mit Autos zu tun hat, da bin ich Ihr Mann.«
Alles, was mit Autoknacken zu tun hat, dachte Kevin zynisch. »Und wer ist Ihr Kumpel?«
Donelan zeigte mit einer Kopfbewegung auf den anderen Burschen. »Das ist Carl. Carl Mackenzie. Sag hallo zu dem netten Polizisten, Carl.«
Mackenzie brummte etwas, schaute weg und zog Linien in dem verschütteten Zucker auf der Tischfläche. »Und was machst du so, Carl?«, fragte Kevin.
Mackenzies Mund zuckte, als sei er nicht sicher, was man von ihm erwartete. »Nix Besonderes«, sagte er.
Kevin schob das Foto von Jackie zu ihnen hinüber.
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