Toedliche Worte
wär’s damit, dann hast du alles«, sagte sie. »Es wird heute Nacht verdammt kalt sein da draußen.«
Paula schüttelte den Kopf. »Jackie und Sandie hatten keine Jacken an. Und ich soll ihnen so ähnlich wie möglich sehen. Aber ich brauche noch ein Paar flotte sexy Schuhe.«
»Du brauchst die Jacke«, beharrte Jan. »Du musst doch etwas haben, um das Kabel zu verstecken, das am Rücken runterläuft, und das Funkgerät.«
»Daran hatte ich nicht gedacht. Du hast recht.« Paula nahm die Sachen mit zur Kasse und hielt ihre Kreditkarte hin. Gott sei Dank würde niemand, der ihr wichtig war, ihren Kontoauszug sehen.
»Mein Gott, hier gibt’s ja alles mögliche komische Zeug«, sagte Jan und spähte neugierig in eine Vitrine mit Bondage-Artikeln.
»Es gibt eben solche und solche«, sagte die Frau hinter dem Tisch gereizt.
Jan warf ihr einen kühlen Blick zu. »Ja, scheint so.« Sie wandte sich ab. »Ich seh dich dann draußen, Paula.«
Als Paula zu ihr stieß, stand Jan an die Wand gelehnt und drehte sich eine Zigarette. »Ich wusste nicht, dass du rauchst«, sagte Paula.
»Nur wenn ich ’n schlechten Geschmack im Mund hab«, sagte Jan.
»Ich dachte, du hättest dich da drin amüsiert.«
Jan befeuchtete das Papier mit der Zunge und rollte die Zigarette geschickt zusammen. »Ja, hast du das gedacht? Pfeifen im Walde, Paula. Das war’s.« Ihr Gesichtsausdruck verriet nichts, aber Paula hatte sie noch nie so leise sprechen hören. »Du riskierst alles heute Abend. Es ist wahrscheinlich die bedrohlichste Aufgabe, die ein Polizist je haben kann.«
Paula seufzte. »Danke, Coach. Und dabei hab ich mir eingeredet, ihr würdet mich alle beschützen.«
Jans Lächeln wirkte gezwungen. »Das tun wir auch. Daran brauchst du nicht zu zweifeln. Aber es gibt Gelegenheiten, Paula, wo es vernünftig ist, Angst zu haben. Und heute Abend ist so eine Gelegenheit.«
Der Tag nahm erbarmungslos seinen Lauf. Im Einsatzzentrum gab es einen Berg von Papieren und Unterlagen, die Carol hätte durchsehen können, aber ihre Mitarbeiter konnten das ebenso gut tun. Teams lasen Zeugenaussagen und Berichte, füllten Formulare für Maßnahmen aus, die durchgeführt werden mussten, einzelne Beamte arbeiteten sich durch die Aufgaben auf ihren Schreibtischen, und andere produzierten noch mehr Papierkram für die, die sich durch die Zeugenaussagen kämpfen mussten. Und Don Merrick sortierte alles Wesentliche aus, über das sie informiert werden musste. Die überwältigende Flut von Material bei einem solchen Fall war erschreckend, und das umso mehr, als sie dadurch keinen Schritt weiterzukommen schienen.
Die verdeckte Aktion machte sie so zerfahren wie die Angst vor dem Fuchs die Hühner. Jede kleinste Vorahnung, dass etwas schief gehen könnte, verstärkte sich in Carols Gedanken um ein Vielfaches und rührte wieder halb vergessene Erinnerungen an ihre eigene misslungene Operation auf. Und dann Sam Evans. Sie war sich nicht im Klaren, ob er einfach Eindruck schinden wollte oder ob er absichtlich ihre Stellung zu untergraben versuchte. So oder so musste er jedenfalls zu einem Zeitpunkt, an dem sie sich das am wenigsten leisten konnte, bei Brandon Zweifel an ihr geäußert haben. Sie wollte nicht, dass dieser sich fragte, ob ihre eigene Erfahrung Paulas verdeckte Aktion beeinträchtigen würde. Carol versuchte, diese zornigen Gedanken zu verscheuchen, aber sie ließen sich nicht verdrängen. Schließlich gab sie nach. Wenn sie der Vergangenheit nicht entkommen konnte, sollte sie vielleicht versuchen, sich ihr zu stellen. Sie nahm das Buch vom Tisch, das Jonathan ihr gebracht hatte, und schlug es behutsam auf. Sie war außerhalb ihrer speziellen Interessengebiete nie eine große Leserin gewesen, und seit der Vergewaltigung hatte sie sich absichtlich von allem fern gehalten, das nach Selbsthilfe roch. Aber dies hier schien etwas anderes zu sein. Trotz ihrer Vorbehalte wurde sie von der Schilderung so mitgerissen, dass sie sich, obwohl es wenig Parallelen zu ihrer eigenen Erfahrung gab, derart angesprochen fühlte wie durch nichts und niemanden zuvor.
Nach vierzig Seiten musste sie das Buch weglegen. Ihre Hände zitterten, und sie war den Tränen nah. Sie brauchte unbedingt einen Drink, war aber entschlossen, nicht nachzugeben. Zum ersten Mal seit Monaten begriff sie: Sie war schon so weit über den Berg, dass sich die Frage nach dem Überleben nicht mehr stellte, sondern es stand fest, dass sie es schaffen würde. Die Carol Jordan, die sie
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