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Toedliche Worte

Toedliche Worte

Titel: Toedliche Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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einer Umgebung können ihm vollkommen unbekannt sein und für sein eigenes Leben unerheblich erscheinen. Das Temple Fields des Mörders war bestimmt sein einzigartiges individuelles Terrain, und wenn Tony entdecken konnte, woraus es bestand, konnte ihm das eventuell helfen, besser zu verstehen, wer der Mörder war. Oder zumindest, wer er nicht war.
    Er brauchte an diesem Vormittag eine Beschäftigung. Obwohl er wusste, dass Carol ihre Leute über die vorgeschlagene verdeckte Aktion informieren würde, wollte er sie noch nicht treffen. Die ganze Nacht war er immer wieder aufgewacht, und die Bilder von ihr und dem Motorradfahrer standen in immer wieder anderen Variationen vor seinem inneren Auge. Er schämte sich wegen seiner heftigen Reaktion und wollte nicht, dass sie sein nächstes Zusammentreffen mit Carol belastete.
    Schließlich ging er nach einer systematischen Route in seinem Kopf in das Labyrinth von Passagen und Gässchen hinein, die sich durch den abgelegeneren Teil von Temple Fields zogen, bog in eine Gasse ein und hielt vor einem Torweg an. Er sah an dem schmutzigen Gebäude aus rotem Backstein hinauf und fragte sich, hinter welchem Fenster das Bett stand, auf dem Derek Tylers erstes Opfer verblutet war. In den Notizen stand, dass Lauren Cafferty oft Freier mit in ihr möbliertes Zimmer genommen hatte. Sie hatte geglaubt, dort sei sie sicherer als in einem Auto und sie hätte dadurch mehr Kontrolle, da es von anderen möblierten Zimmern umgeben war, deren Bewohner es hören würden, wenn es zu schlimm wurde und sie um Hilfe rufen musste. Sie hatte sich nie vorgestellt, dass sie einem Mörder begegnen könnte, der ihr, was die Kontrolle betraf, unendlich überlegen war.
    Tony stand kurz still, ließ den Assoziationen in seinem Kopf freien Lauf und machte sich dann zur nächsten Adresse seiner Liste auf. Nach einer halben Stunde und vier Adressen weiter stand er vor dem Woolpack Hotel. »Was haben sie nur gemeinsam, deine Orte?«, fragte er sich leise. »Sie gehören zu einem Netzwerk, das für die meisten Leute, die in die Bars von Temple Fields kommen oder hier Sexpartner suchen, unsichtbar ist. Aber du kennst dich hier aus. Wohnst du oder arbeitest du eventuell sogar hier? Lieferst du vielleicht etwas aus? Bist Kurier? Briefträger? Alle Adressen liegen in der Nähe belebter Straßen, aber nicht direkt dort. Du hältst dich gern an etwas entlegenen Orten auf, aber du willst, dass die Opfer entdeckt werden, bevor allzu viel Zeit vergeht. Du bleibst bei ihnen, bis sie tot sind, und gehst dann weg, weil du weißt, sie werden nicht lange allein bleiben. Kannst du es nicht ertragen, dass sie einsam sind?«
    Er ging langsam eine Gasse entlang auf die Bellwether Street zu, die zu dieser Tageszeit voll von einkaufenden Menschen war und wo sich Leute aus der Unterschicht drängten, für die überdachte Einkaufsflächen eine bessere Lösung darstellten, als sich im Freien aufzuhalten. »Nein, das ist es nicht«, murmelte er. »Du machst dir nicht genug aus ihnen. Sie sind für dich keine Frauen, sondern nur Wegwerfgegenstände. Du willst, dass wir deine Morde sehen, wenn sie noch frisch sind, damit wir dein Können bewundern. Es war nur Pech, dass Dee den Abend frei hatte und wir so lange brauchten, bis wir Sandie fanden.« Er schaute mit einem strahlenden Lächeln hoch. »Also angeben willst du, das ist es. Du kannst es nicht ertragen, dein Licht unter den Scheffel zu stellen. Du stößt uns mit aller Gewalt darauf. Du willst Anerkennung dafür, Genugtuung – und du willst nicht darauf warten.«
    Tony ging die Bellwether Street hinunter zum Woolmarket, wo er sich auf eine der Bänke setzte, von denen man den belebten Platz übersehen konnte. Die unterschwellige Botschaft aus den Aktionen des Mörders herauszulesen war nur der erste Schritt, aber ein notwendiger. Er musste sich vom Ende her bis zu den Details durcharbeiten, bevor er einschätzen konnte, auf welche Weise die tiefen Gefühle des Mannes, der diese scheußlichen Taten verübte, sein Verhalten in der Öffentlichkeit prägten. Bis ihm das gelang, würde er für Carol nicht von großem Nutzen sein. Und auch für die zukünftigen Opfer des Mörders nicht.
    »Du warst immer auf Lob aus.« Er sprach leise, seine Lippen bewegten sich kaum. »Aber sie haben dir nie genug davon gegeben, oder? Sie haben dich nie für das geschätzt, wofür du geschätzt werden wolltest. Du wolltest die Macht, welche die Bewunderung der Menschen mit sich bringt, aber so weit

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